Fachartikel vom 29.04.2016

Für die in den Fachartikeln dargestellten Inhalte sind ausschließlich die genannten Autoren bzw. Unternehmen verantwortlich.


Vom Mikrospritzguss zum Mikrospritzprägen – Umsetzung des Verfahrens für kleine Dimensionen

Steffen Jacob, KUZ - Kunststoff-Zentrum in Leipzig gGmbH

Das Mikrospritzgießen stellt eines der wichtigsten Verfahren zur Herstellung von mikrostrukturierten Bauteilen und singulären Mikroteilen aus Polymerwerkstoffen dar. Jedoch treten bei der Spritzgießfertigung Nachteile vor allem durch Werkzeuginnendruckunterschiede auf, die zu Einfallstellen, Bauteilverzug, Anisotropien oder auch zur Schädigung von zu umspritzenden Einlegeteilen führen. Zur Vermeidung dieser Fehler wird bei vielen Formteilen in der klassischen Spritzgießfertigung das sogenannte Spritzprägen eingesetzt. Hier wird in einem Spritzgießprozess bei partiell geöffnetem Werkzeug ein definierter Preform innerhalb der Kavität generiert und anschließend mittels eines Kompressionsformprozesses zum fertigen Bauteil ausgeformt. Es werden kurze Zykluszeiten und lange Fließwege bei geringem Druckniveau realisiert.

Abb. 1: Doppelbrechungseffekte an einem spritzgegossenen mikrooptischen Formteil aus PC Lexan
Abb. 1: Doppelbrechungseffekte an einem spritzgegossenen mikrooptischen Formteil aus PC Lexan
Für Mikrooptiken hoher Abbildungsgüte aus Kunststoff, wie z.B. für anspruchsvolle Applikationen in der Mess- und Medizintechnik, sind Bauteilspannungen häufig schwer zu beherrschen. Innere Spannungen und Molekülorientierungen in spritzgegossenen Kunststoffoptiken verursachen Doppelbrechungseffekte (Abb. 1), die zu unerwünschten Polarisations- und damit Transmissionseffekten führen und nicht immer mit Deformationen der Formteile einhergehen müssen.

Ziel eines Forschungsprojektes am Kunststoff-Zentrum in Leipzig (KUZ) war es, durch neue technische und technologische Lösungen die Möglichkeiten des Spritzprägens bei der Fertigung von Mikroformteilen zu untersuchen. Die technologische Basis der Untersuchungen zum Mikrospritzprägen bildete dabei beispielhaft die modulare Maschinenplattform mit Kolbenspritzeinheiten formicaPlast®, die am KUZ für das Mikrospritzgießen entwickelt wurde. Ein neuer vertikaler Maschinenaufbau mit entsprechenden elektrischen Antrieben stand für die Untersuchungen zur Verfügung.


Abbildung möglicher Prägevarianten im Mikrospritzguss

Bezug nehmend auf die Bewegungsachsen von Spritzgießmaschinen wird in der Werkzeugtechnik zwischen dem sogenannten Haupt- und Nebenachsenprägen unterschieden. Die Schließbewegung des Werkzeuges ist als Hauptachse definiert, Kernzüge und Auswerferbewegungen werden den Nebenachsen zugeordnet. Beim Hauptachsenprägen beeinflusst die Bewegung der Schließeinheit das Kavitätsvolumen. Traditionelle Werkzeuge dichten dabei die Kavität über eine sogenannte Tauchkante ab. Dabei tauchen beide Werkzeughälften über die Schließbewegung ineinander und es wird somit eine Abdichtung der Kavität nach außen ermöglicht. Bei einer weiteren Prägevariante ist das Werkzeug vollständig geschlossen. Über eine Nebenachse, in diesem Fall der Auswerferantrieb, wird das Kavitätsvolumen über bewegliche Bereiche (Prägekerne) innerhalb der Kavität verändert. Die in Abbildung 2 dargestellten Prägevarianten wurden werkzeug- und verfahrenstechnisch für die Untersuchungen zum Mikrospritzprägen umgesetzt.

Abb. 2: Schemadarstellungen der realisierten Prägevarianten mit den beiden Demonstrationsformteilen A und B
Abb. 2: Schemadarstellungen der realisierten Prägevarianten mit den beiden Demonstrationsformteilen A und B
Ebenfalls in Abbildung 2 ersichtlich die Demonstrationsformteile A und B. Das Demonstrationsformteil A dient dem Vergleich beider Prägevarianten (Haupt- und Nebenachsenprägen). Das Werkzeug dazu wurde als 2-fach-Werkzeug mit Tauchkante um die Formteilkontur und einem beweglichen Konturkern im Bereich der optisch aktiven Fläche ausgeführt. Die Kontur des Formteiles entspricht einer dünnwandigen Rechtecklinse mit Außenabmaßen von 5 mm x 3 mm. In einer der beiden Konturfächer wurde eine Dummykavität mit integriertem Werkzeuginnendrucksensor (verbaut im beweglichen Konturkern) untergebracht. Das Demonstrationsformteil B wurde werkzeugtechnisch nur für das Nebenachsenprägen mittels Prägekern auf der optisch aktiven Fläche ausgelegt. Die Formteile entsprechen dabei in den Abmaßen typischen rotationssymetrischen Mikrolinsen mit einem Durchmesser von 5 mm.


Spritzprägen von dünnwandigen und flächigen Mikrokavitäten

Abb. 3: Vergleich der Doppelbrechungseffekte mittels Polarisationsmikroskopie von spritzgegossenen und rechts einer spritzgeprägten Rechtecklinse mit Preform aus PC
Abb. 3: Vergleich der Doppelbrechungseffekte mittels Polarisationsmikroskopie von spritzgegossenen und rechts einer spritzgeprägten Rechtecklinse mit Preform aus PC
Das Spritzprägen von dünnwandigen Mikrokavitäten stellt eine besondere Herausforderung hinsichtlich der Dynamik der Maschine im Prägeprozess dar. Durch das rapide Erkalten der Fließfront kann sich eine Druckbeaufschlagung des Schmelzekuchens bei Teilfüllung der Kavität als sehr negativ auf die Bauteileigenschaften auswirken. Dies kann bei unzureichender Prozessdynamik zu Oberflächendefekten und den eigentlich vermeidbaren inneren Spannungen und Orientierungen führen. Daher werden Mikroteile bisher hauptsächlich nach der vollständigen Füllung der Kavität mit dem Prägedruck beaufschlagt. Die Dynamik der formicaPLAST® lässt jedoch auch eine Teilfüllung der Kavität zu, um mit dem Prägedruck einen eingespritzten Schmelzekuchen zum Formteil auszuformen. Dies setzt ebenfalls eine reproduzierbare präzise Dosierung der Kunststoffschmelze voraus. Die Möglichkeit von simultanen Bewegungen zwischen Einspritzkolben und Prägeantrieb, die ab bestimmten Weg- oder Druckpunkten parallel ablaufen können, lässt viel Spielraum bei der Optimierung des Prägeprozesses. Diese Vorraussetzungen erst ermöglichen im dünnwandigen Mikrobereich eine Prozessführung des Prägevorganges mit Teilfüllung der Kavität (Abb.3).

Vergleichende Untersuchungen von spritzgegossenen und spritzgeprägten Chargen der Rechtecklinse ergaben eine deutliche Reduzierung der Doppelbrechungseffekte für die im Tauchkantenwerkzeug geprägten Formteile. Die geprägten Formteile wiesen auch eine höhere Formtreue in der optischen Kontur gegenüber den spritzgegossenen Formteilen auf. Qualitative Aussagen zu Eigenspannungen und Orientierungen wurden über die Betrachtung der Doppelbrechungseffekte mit vergleichender Polarisationsmikroskopie getroffen.


Spritzprägen von dickwandigen Mikrokavitäten

Abb. 4: Druck-Temperatur-Weg-Diagramm des Kernprägezyklus einer spritzgeprägten Zylinderlinse aus PC im Vergleich mit einer spritzgegossenen Version
Abb. 4: Druck-Temperatur-Weg-Diagramm des Kernprägezyklus einer spritzgeprägten Zylinderlinse aus PC im Vergleich mit einer spritzgegossenen Version
Das regionale Kernprägen dient dazu, die mit Druck beaufschlagte Kontur geometrisch exakt und spannungsarm abzuformen. Nicht beeinflusste Randregionen können durchaus spritzgießtypische Fehlerbilder aufweisen, werden aber auch durch zurückdrückendes Material während des Prägens beeinflusst. In Abbildung 4 ist der typische Druck-Temperatur-Werkzeugweg-Verlauf im Prägezyklus ersichtlich. Die gestrichelten Linien stellen vergleichend die Druck- und Temperaturverhältnisse zum Spritzguss dar. Eine Beeinflussung der Spannungsdoppelbrechungseffekte der dickwandigen Zylinderlinsen ist auch hier mittels Polarisationsmikroskopie gut zu erkennen.

Bei dickwandigen Formteilen werden selbst beim Spritzgießen ohne Nachdruck durch starke Orientierungen während des Füllvorganges über eine Angussstange Doppelbrechungseffekte erzeugt (Abb. 5). Mit der Verfahrensvariante des Kernprägens können im druckbeaufschlagten Konturbereich nahezu alle Doppelbrechungseffekte vermieden werden. Dieser Effekt konnte jedoch nur bei einer zum Einspritzvorgang synchron ablaufenden Stempelbewegung nachgewiesen werden. Gut ersichtlich ist auch in Abbildung 5, dass durch eine zu hoch gewählte Prägekraft die positiven Effekte des Spritzprägens aufgehoben werden können.


Fazit – Etablierung der Prägetechnologie auch für Mikroteile

Abb. 5: Vergleich der Eigenspannungen mittels Polarisationsmikroskopie einer Zylinderlinse mit Stangenanguss aus PC hergestellt in verschiedenen Verfahrensvarianten
Abb. 5: Vergleich der Eigenspannungen mittels Polarisationsmikroskopie einer Zylinderlinse mit Stangenanguss aus PC hergestellt in verschiedenen Verfahrensvarianten
Die Untersuchungen konnten den Nachweis erbringen, dass auch bei sehr kleinen Kavitäten ein Prägevorgang gut realisierbar ist. Der Prozess bietet bei der Fertigung von Mikroteilen eine reproduzierbare Abformung der Konturen mit einer hervorragenden Oberflächenqualität und Konturtreue sowie eine deutliche Verringerung von Orientierungen und inneren Spannungen.
Wesentliche Einflussfaktoren im Prägeprozess sind die Einstellparameter Prägegeschwindigkeit, Prägeweg und Prägekraft. Während höhere Einstellwerte für Prägeweg und –geschwindigkeit eine höhere Prägequalität (höhere Abformgenauigkeit und verminderte Eigenspannungen) mit sich brachten, konnte diese wiederum nur bei minimal möglicher Prägekraft erzielt werden.

Alle aus der konventionellen Spritzgießtechnik bekannten Prägeverfahren sind auch im kleinen Maßstab umsetzbar und damit für Mikroformteile anwendbar. Dies setzt jedoch eine sehr dynamische Regelung des Prozesses seitens der Maschinentechnik voraus.

Mit der vertikalen Maschinenplattform für das Mikrospritzgießen mit Prägefunktion steht im KUZ eine optimale Versuchsplattform für Abformtests von qualitativ hochwertigen und präzisen Formteilen zur Verfügung. Das verfügbare Stammwerkzeugkonzept minimiert dabei in der Prototypen- und Vorserienphase Ihre Entwicklungskosten. Die Funktionalität und Vielseitigkeit der Maschinenplattform kann beispielsweise für Machbarkeitsstudien genutzt werden. Das KUZ bietet Unterstützung von der Formteilgestaltung über die Werkzeugkonstruktion und Fertigung bis hin zur Formteilprüfung.

Gefördert durch Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie, Reg.-Nr.: MF120103


KUZ - Kunststoff-Zentrum in Leipzig gGmbH

Erich-Zeigner-Allee 44
04229 Leipzig, Deutschland

Tel.:   +49 (0) 341 4941-500
Fax:   +49 (0) 341 4941-555
Email: jacob@kuz-leipzig.de

Internet: www.kuz-leipzig.de


  zurück zur Übersicht  zurück zum Seitenanfang