Fachartikel vom 28.09.2004

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Auswirkungen der geplanten EU-Chemikalienverordnung REACH auf die Recyclingwirtschaft

Dr. Alexander Kessler, Bundesverband der Deutschen Industrie e.V.


Der Vorschlag der Kommission vom 29. Oktober enthält die viel diskutierte Neuregelung der europäischen Chemikalienpolitik. Dabei handelt es sich um eines der größten Vorhaben der europäischen Gesetzgebung überhaupt. Der Vorschlag enthält über 130 Artikel sowie 10 zum Teil sehr umfangreiche Anhänge. Dem Vorschlag ging eine längere und intensive Vorbereitungsphase voraus, welche die Kommission im Februar 2001 mit der Vorstellung ihrer Strategie im Rahmen eines Weißbuchs einläutete. Eine ausführliche Internet-Konsultation im Frühjahr 2003 sowie eine anschließende Gesetzesfolgenabschätzungen waren weitere Schritte.


Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welche Auswirkungen die künftige Chemikaliengesetzgebung auf die Recyclingwirtschaft haben wird. Dabei werden, auf der Grundlage einer kurzen Skizzierung der wesentlichen Elemente von REACH, die wirtschaftlichen und rechtlichen Aspekte beleuchtet, die für unsere Fragestellung von maßgeblicher Bedeutung sind.

Notwendigkeit, Chancen, Risiken von REACH

Mit dem Vorschlag für eine neue Chemikalienverordnung soll der Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt verbessert werden, ohne dass die Wettbewerbsfähigkeit und die Innovationsfähigkeit der europäischen Chemieindustrie leiden. Mit dem bisherigen System der Überprüfung von Chemikalien, war es nach allgemeiner Auffassung nicht möglich, die mit der Verwendung von Stoffen verbundenen möglichen Risiken adäquat zu ermitteln und auf ein erkanntes Risiko angemessen zu reagieren. Es sei an dieser Stelle betont, dass die Notwendigkeit einer Neuregelung des europäischen Chemikalienrechts unbestritten ist. Immer wieder wird behauptet, die Industrie wolle REACH nicht. Das trifft nicht zu. Die Chancen, die ein neues Chemikalienrecht grundsätzlich bietet, liegen in der Sammlung von Informationen über "alte Stoffe", in der Verfahrensvereinfachung, in dem Abbau von Inkonsistenzen zwischen Chemikalienregulierungen und speziellen Regelungen sowie in der Verbesserung des Informationsaustauschs zwischen Herstellern und Nutzern. Allerdings werden diese Chancen vom vorliegenden Vorschlag der Kommission nicht genutzt. Dieser enthält, ganz im Gegenteil, erhebliche Risiken: großer Verfahrensaufwand, überflüssige (und damit teure) Datensammlung, Bürokratie auch für die Verwender, Verteuerung von Stoffen oder gar Gefahr einer Produktionsverlagerung außerhalb der EU, Erschwerung von Innovationen, Abwanderung von Wertschöpfungsketten ins Ausland.


Der Vorschlag der Kommission

Die künftige Verordnung sieht ein umfassendes neues System der Registrierung, Bewertung und Zulassung von chemischen Stoffen vor.

Jeder Hersteller bzw. Importeur muss die Verwendung von Stoffen ab 1 t/a bei der künftigen Chemikalienagentur registrieren und hierzu ein umfangreiches und detailliertes technisches Dossier vorlegen. Das Registrierdossier muss u. a. Zusammenfassungen von Studien und, für jeden Stoff ab 10 t/a, einen umfassenden Stoffsicherheitsbericht enthalten. Grundsätzlich sind bei jeder Registrierung eines Stoffes abhängig von der Produktionsmenge bzw. Importmenge fest vorgegebene Informationen zu intrinsischen Eigenschaften einzureichen. Nachgeschaltete Anwender sind dann zur Übermittlung eines Berichts über eine bestimmte Verwendung eines Stoffes verpflichtet, wenn diese Verwendung von der Registrierung des Herstellers bzw. Importeurs nicht gedeckt ist.

Die Kosten der vorgegebenen Prüfdatensätze und der geforderten Informationen zur Exposition zum Stoffsicherheitsbericht ab 10 jato sind erheblich. Nach unabhängigen Studien und den Erfahrungen der Unternehmen mit der Anmeldung neuer Stoffe werden für Mengen zwischen 1 und 10 Tonnen Jahresproduktion durchschnittliche Registrierkosten von 20.000 bis 50.000 € erwartet. Für den Mengenbereich 10 bis 100 Tonnen sind es 240.000 bis 350.000 €, bei 100 bis 1000 Tonnen 400.000 bis 450.000 €.

Für die Registrierung von Stoffen in Erzeugnissen finden spezielle Regeln Anwendung: Bestimmte Stoffe in Erzeugnissen müssen registriert werden, und zwar dann, wenn der fragliche Stoff gefährliche Eigenschaften besitzt und aus dem Erzeugnis freigesetzt werden soll. Für Stoffe, die lediglich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit freigesetzt werden, genügt eine einfache Mitteilung, auf deren Grundlage die Agentur eine Registrierung verlangen kann.

Der Kommissionsvorschlag sieht zwei Evaluierungsverfahren vor, eine Dossierbewertung und eine Stoffbewertung. Bei der Dossierbewertung haben die Behörden die Aufgabe, die Übereinstimmung des Registrierungsdossiers mit den gesetzlichen Anforderungen zu überprüfen. Die Dossierbewertung hat zum Ziel, unnötige Tierversuche zu vermeiden. Deswegen sind die Behörden verpflichtet, die vorgeschlagenen Testmethoden zu überprüfen bevor ein Test durchgeführt wird. Die Stoffbewertung ermöglicht es den Behörden, von dem Hersteller zusätzlich Informationen zu verlangen, falls es Grund zu der Annahme gibt, dass eine Gefahr für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit besteht.

Das Zulassungsverfahren bezieht sich auf besonders besorgniserregende Stoffe. Dies sind Stoffe mit gefährlichen Eigenschaften, die eine Überprüfung und Entscheidung über die Anwendungsrisiken im Vorfeld einer Verwendung notwendig machen. Zu diesen Stoffen zählen etwa kanzerogene, mutagene, fortpflanzungsgefährdende, persistente, bioakkumulative Stoffe oder Stoffe wie etwas solche mit endokrinen Eigenschaften, die den Eigenschaften der anderen genannten Stoffe gleichwertig sind. Der beantragende Hersteller muss nachweisen, dass das mit der Verwendung des Stoffes verbundene Risiko angemessen beherrscht wird oder dass der soziökonomische Nutzen die Risiken überwiegt.

Kosten, wirtschaftliche Auswirkungen

Die Frage der wirtschaftlichen Auswirkungen von REACH ist ein zentraler Punkt der aktuellen Diskussion geworden. Der BDI beauftragte die Unternehmensberatung Arthur D. Little (ADL), die wirtschaftlichen Auswirkungen von REACH auf die deutsche Wirtschaft zu untersuchen. Die Studie von ADL basierte auf dem Ansatz, die gesamte Wertschöpfungskette vom Hersteller von Chemikalien bis zum Endhersteller zu analysieren. Zum einen war es so möglich, eine Aussage über die gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen zu erzielen. Außerdem konnte dargelegt werden, dass tatsächlich die gesamte Industrie von REACH betroffen ist. Die Studie bezieht nicht nur die sog. direkten Kosten mit ein. Dies wären in erster Linie die Kosten für die Registrierung von Stoffen, wie sie bereits oben skizziert worden sind. Darüber hinaus wurden auch Parameter wie der für die Registrierung erforderlich Zeitaufwand ("time to market"), Zulassungspflicht (Einschränkungen in der Verwendung bestimmter besonders gefährlicher Stoffe) und Transparenz (Effekte der Offenlegung von Stoffdaten) berücksichtigt. Die Studie ergab, dass, basierend auf verschiedenen auf der Strategie des Weißbuchs aufbauenden Ausgestaltungsszenarien, ein Bruttowertschöpfungsverlust aller Wirtschaftsbereiche von 0,6 - 6,4% sowie ein Verlust von 150.000 bis 2.350.000 Arbeitsplätzen zu erwarten. Nach der endgültigen Vorlage des Kommissionsvorschlages wurde die ADL-Studie aktualisiert. Die erfolgten Verbesserungen im Kommissionsvorschlag drücken sich auch in den zahlenmäßigen Ergebnissen von ADL aus, allerdings bleiben die zu erwartenden Folgen weiterhin beträchtlich: Immer noch ist mit 2,7 - 3,3 % Verlust an Bruttowertschöpfung bzw. 1 - 1,23 Millionen Arbeitsplatzverlusten in Deutschland zu rechnen.

Trotz mancher Kritik an den ermittelten Zahlen hat doch die ADL-Studie wesentlich zu einer ernsthaften und intensiven Diskussion über die ökonomischen Auswirkungen von REACH geführt. Die Zahl der Studien und Pilotprojekten auf europäischer Ebene sowie in fast allen Mitgliedstaaten, die sich mit den Wirkungen oder der möglichen Umsetzung von REACH beschäftigen, ist fast unüberschaubar geworden. Zurzeit führt die Kommission gemeinsam mit der europäischen Industrie und anderen Stakeholdern Studien durch, welche die dem Kommissionsvorschlag zugrunde liegende Gesetzfolgenabschätzung maßgeblich ergänzen werden.

Anwendungsbereich von REACH

Ebenso unbestritten ist mittlerweile die Erkenntnis, dass sich die künftige Chemikalienverordnung grundsätzlich auf alle Industriezweige in der Herstellungskette auswirkt. Indirekt geschieht dies durch die Weitergabe der durch die Registrierung von Stoffen entstehenden Kosten an die Anwender bzw. Weiterverarbeiter dieser Stoffe. Wie bereits dargelegt, sind aber auch die Anwender direkt betroffen, die für einen bestimmten Stoff eine Verwendung vorsehen, die bislang nicht registriert wurde.

Allerdings ergibt sich für einige Bereiche die Frage der Anwendbarkeit von REACH. Es stellt sich an dieser Stelle die Frage, inwieweit Abfälle sowie die aus Verwertungsverfahren gewonnenen (Sekundär)stoffe vom Anwendungsbereich der REACH-Verordnung erfasst werden. Im derzeit noch geltenden Chemikalienrecht ist die Situation eindeutig: Abfälle als Stoffmischungen sind vollständig vom Anwendungsbereich sowohl der Richtlinie 67/548/EWG (gefährliche Stoffe) als auch der Richtlinie 1999/45/EG (Zubereitungen) ausgenommen. Dies ist im aktuellen Vorschlag der Kommission so nicht der Fall. Weder in Artikel 2 ("Anwendungsbereich" der Verordnung) noch in den die Registrierung, die Datensammlung oder die Evaluierungsschritte betreffenden Abschnitten ist eine ausdrückliche Ausnahme für Abfälle vorgesehen. Lediglich die Titel VII ("Zulassung", Artikel 53) und VIII ("Beschränkungen", Artikel 64) finden sich identische Ausnahmen, jedoch lediglich für die Verwendung von Stoffen, die Abfall sind und die in Abfallbehandlungsanlagen behandelt werden.

Die Kommission hat in zwei sog. Non-Papers im Februar diesen Jahres die Ansicht vertreten, dass im Rahmen des bei der Registrierung zu erstellenden Stoffsicherheitsberichts sowie im Sicherheitsdatenblatt der gesamte Lebenszyklus von Stoffen als solchen, in Zubereitungen oder in Erzeugnissen zu berücksichtigen ist. Stoffhersteller müssten die Abfallphase ihrer Stoffe bei der Entwicklung von Expositionsszenarien in Erwägung ziehen. Allerdings sollten nicht sämtliche denkbaren Abfallbehandlungsszenarien untersucht, sondern lediglich die empfohlene Abfallbeseitigungsmethode benannt werden. Die Kommission kommt zu dem Schluss, dass REACH den Betreibern von Abfallbehandlungsanlagen generell keine Verpflichtungen im Hinblick auf die Sicherheitsprüfung und die Weitergabe von Informationen an Abnehmer auferlegt.

Eine zweite Frage ist die, ob Abfall bzw. das Ergebnis eines Abfallverwertungsprozesses (Recyclingprodukte/Sekundärrohstoffe) unter den Anwendungsbereich von REACH fallen und damit etwa eine Registrierungspflicht für Abfälle und Sekundärrohstoffe besteht. Die Antwort der Kommission hierauf ist differenziert: Bei der stofflichen Verwertung von Abfällen bejaht sie eine Anwendbarkeit von REACH bei Sekundärstoffen, sofern der Prozess zu einem neuen Stoff, einer neuen Zubereitung oder zu einem neuen Erzeugnis als Ergebnis eines chemischen Umwandlungsprozesses führt. Dagegen wird eine Anwendbarkeit bei rein mechanischen bzw. physikalischen Aufarbeitungsverfahren, wie etwa dem Recycling von Glas, verneint. Dies führt weiter zu dem Schluss, dass nach Auffassung der Kommission Abfälle als solche nicht unter den Anwendungsbereich von REACH fallen.

Allerdings bestehen erhebliche Zweifel, ob die von der Kommission in den "Non-Papers" vorgenommene Interpretation des aktuellen Textvorschlags zutrifft. Dies gilt in erster Linie für die Frage, ob Abfälle als solche von REACH erfasst werden. In der Tat gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass Abfälle nicht als Stoff bzw. als Stoffgemisch zu betrachten sind. Abfälle fallen in Produktionsprozessen neben den gezielt hergestellten Haupt- und Nebenprodukten an. Sie sind im Textvorschlag vom allgemeinen REACH-Anwendungsbereich nicht ausgenommen. Dies führt dazu, dass alle im Verordnungstext folgenden Anforderungen auf Abfälle anwendbar sind, es sei denn, die Vorschriften enthalten gesonderte Ausnahmevorschriften, wie im Falle der Zulassungsregelungen (Titel VII) und der Beschränkungen (Titel XII). Dies ist aber nicht sachgerecht, da Abfälle einem eigenen Regime unterliegen, dass den besonderen Eigenschaften von Abfällen am besten gerecht wird. Die Industrie vertritt hier den Standpunkt, dass doppelte Regelungen und daraus entstehende Mehrfachbelastungen für die betroffenen Unternehmen zu vermeiden sind. Abfälle sollten deshalb aus dem Anwendungsbereich von REACH gänzlich ausgenommen werden.

Auch die Frage der Anwendbarkeit von REACH auf Sekundärrohstoffe ist nicht befriedigend beantwortet. Zum einen könnte es in der Praxis zum Teil zu schwierigen Abgrenzungsfragen kommen, ob ein Sekundärstoff, je nach Recyclingverfahren und Beschaffenheit, chemisch verändert wurde oder nicht. Aber auch grundsätzlich stellt sich die Frage, ob das von der Kommission vertretene Abgrenzungskriterium sachgerecht ist. Man kann durchaus argumentieren, dass hier im Ergebnis eine willkürliche Diskriminierung stattfindet. Völlig unberücksichtigt blieben bislang die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser vertretenen Abgrenzung. Wenigstens müsste eingehender untersucht werden, inwieweit die dadurch möglicherweise verursachten Steuerungseffekte weg von bestimmten Recyclingverfahren unter abfallpolitischen Gesichtspunkten vertretbar sind.

Ergebnis

Die bisherige Diskussion hat gezeigt, dass sich die künftige Chemikalienpolitik auf die gesamte Herstellerkette erheblich auswirken wird. Deren wirtschaftliche Folgen können für spezifische Industriezweige bislang nur grob eingeschätzt werden und hängen wesentlich von der Ausgestaltung des endgültigen Rechtstextes ab. Auf der Grundlage des aktuellen Kommissionsvorschlags ist eine Betroffenheit der Recyclingwirtschaft von REACH zu bejahen. Es ist davon auszugehen, dass für eine erhebliche Anzahl von Sekundärrohstoffen insbesondere die Anforderungen zur Registrierung von Stoffen Anwendung finden werden.


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