Fachartikel vom 23.05.2011

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Kunststoffe nach Maß - Produktspezifische Materialentwicklung im Spritzgießprozess

Dipl.-Ing. Ellen Albring, Dipl.-Ing. Rainer Kleeschulte, Prof. Dr.-Ing. Elmar Moritzer, K-Lab an der Universität Paderborn

Der globale Markt stellt die industrielle Produktentwicklung vor immer größere Herausforderungen. Komplexibilität, Variantenvielfalt, Flexibilität und Individualität sind dabei nur einige Aspekte, denen Produkte heute gerecht werden müssen.

Die Bewerkstelligung dieser Produktanforderungen verlangt auch in der Kunststoffindustrie eine stetige Entwicklung hin zu mehr Perfektion und Leistung. Um Qualitäts- und Kostenpotentiale bestmöglich auszuschöpfen, bedarf es einer optimalen Abstimmung zwischen Produktanforderungen, Konstruktion und Werkstoff. Aufgrund des enormen Entwicklungsaufwandes ist eine produktspezifische Werkstoffauswahl für den Anwender allerdings derzeit nicht machbar, insbesondere bei Betrachtung der Individualität und Kürze der Produktserien.

Das Anfang des Jahres am K-Lab in Paderborn gestartete Projekt "Produktspezifische Materialentwicklung" (PSM) setzt genau hier an, indem es sich eine schnelle, effiziente und vor allem wirtschaftliche Möglichkeit zur produktspezifischen Entwicklung von Kunststoffrezepturen zum Ziel gesetzt hat. Die Integration des Compoundiervorganges im Spritzgießprozess in Kombination mit einer produktspezifischen Werkstoffentwicklung sind hierbei die Schlüssel zum Erfolg.


Trends in der Rohstoffbranche
Die Nachfrage nach immer individuelleren Produkten, die in immer geringeren Stückzahlen und kürzeren Zyklen erzeugt werden, steigt auch in der Kunststoffindustrie stetig an. Kunststoff-Compounds, die spezifisch auf die Anforderungen eines Produktes abgestimmt sind, gewinnen daher zunehmend an Bedeutung [1]. Eine produktspezifische Polymerentwicklung kommt für die Verarbeiter als Anwender gegenwärtig jedoch nicht in Frage, da sie mit einem enormen finanziellen Aufwand und einem gewissen Kalkulationsrisiko verbunden ist. Gründe hierfür liegen unter anderem in der Geschichte der Forschung und Entwicklung großer Rohstoffhersteller. Dort stehen seit den neunziger Jahren prinzipiell zwei strategische Trends im Vordergrund [2]. Ein Trend betrifft die Verfahrensentwicklung. Hier besteht fortwährend das Ziel, immer kostengünstiger, immer mehr Volumen in kürzester Zeit zu produzieren, um den Bedarf an etablierten Kunststoffen abdecken zu können. Die logische Konsequenz spiegelt sich in der zunehmenden Konsolidierung der Rohstoffbranche wider. Der zweite Trend bezieht sich auf die Rohstoffentwicklung, wo es nicht mehr darum geht, völlig neue Kunststoffarten zu erzeugen, sondern vielmehr darum, Copolymere und Blends zusammenzustellen oder neue Katalysatoren zu entwickeln, um die in der Verfahrensentwicklung so mühselig erarbeiteten World-Scale-Anlagen auch auslasten zu können. Zudem konnten die Spezialkunststoffe, trotz ihrer überlegenen Fähigkeiten, nicht den gewünschten Absatz finden, was zu einer zunehmenden Standardisierung auf die etablierten Kunststoffe führte. All das zieht natürlich Konsequenzen für die Anwender nach sich, die bei der Auswahl der für ihre Produkte passenden Polymere, nur noch einen geringen Spielraum zur Verfügung haben. Bei der Analyse des Ablaufs der Materialentwicklung zeigt sich, dass genau hier der Hauptgrund für den enormen zeitlichen und finanziellen Aufwand bei der Rezepturentwicklung zu finden ist [3].


Konventioneller Ablauf der Rezepturentwicklung (in Anlehnung an [3])
Konventioneller Ablauf der Rezepturentwicklung (in Anlehnung an [3])
Traditioneller Ablauf der Rezepturentwicklung
Am Anfang des seit nunmehr 50 Jahren bestehenden Entwicklungsprozesses stehen die Anforderungen, die an die neue Rezeptur gestellt werden. Der Compoundeur beginnt anschließend, basierend auf diesen Anforderungen, eine Rezeptur zusammenzustellen. Das Compound wird daraufhin an den Spritzgießer weitergeleitet, der aus dem Compound Prüfkörper erzeugt, die dann verschiedene experimentelle Untersuchungen durchlaufen. Im Anschluss werden diese ausgewertet und schließlich eine Anpassung der Rezeptur vorgenommen. Dieser Optimierungszyklus wird solange durchlaufen, bis die Anforderungen an die Rezeptur zufriedenstellend sind und das neue Compound produziert werden kann.


Compoundieren und Spritzgießen in einem
Strömungsverlauf in der statischen Mischdüse. Schonendes und leistungsfähiges Mischen von viskosen Produkten (Foto: Sulzer Chemtec)
Strömungsverlauf in der statischen Mischdüse. Schonendes und leistungsfähiges Mischen von viskosen Produkten (Foto: Sulzer Chemtec)
Es wird deutlich, dass die traditionelle Rezepturentwicklung zeitlich und finanziell nicht zufriedenstellend ist, auch wenn in den letzten Jahren verschiedene Automatisierungsmethoden und die statistische Versuchsplanung zu einer Verbesserung des Ablaufs geführt haben. Neue Herangehensweisen versuchen derzeit den traditionellen Entwicklungsablauf zu innovieren, indem sie das Konzept miniaturisieren oder probieren, mehrere Prozessschritte in einem zu vereinen. Das spart Zeit, Material und erhöht gleichzeitig die Effizienz. Auch am K-Lab in Paderborn wird seit Anfang des Jahres 2011 dieses Ziel in dem Projekt "Produkt-spezifische Materialentwicklung" (PSM) verfolgt. Im Fokus des Projektes steht die Integration des Compoundiervorganges im Spritzgießprozess, gepaart mit einer anwendungsorientierten Möglichkeit der produktspezifischen Materialentwicklung.


Anlagentechnik
Die eingesetzte Anlagentechnik besteht dabei im Kern aus einer vollelektrischen, holmlosen Spritzgießmaschine der Fa. Engel (e-motion 200/100), die für die Homogenisierung der Schmelze zusätzlich mit einem statischen Mischer der Fa. Sulzer Chemtec GmbH ausgestattet ist. Beschickt wird die Spritzgießmaschine über vier gravimetrische Dosierer der Fa. Brabender, die eine prozessstabile Dosierung auch kleinster Mengen in Rohform sicherstellen. Der verfahrenstechnische Ablauf des neuen Konzeptes ist schematisch in der unteren Abbildung dargestellt. Compoundier- und Spritzgießprozess werden im Vergleich zum traditionellen Ablauf in einem Schritt zusammengefasst und die Anforderungen sowie die letztliche Rezeptur sind explizit auf das jeweilige Produkt abgestimmt.


Schematische Darstellung des PSM-Konzeptes
Schematische Darstellung des PSM-Konzeptes
Materialentwicklungskompetenz direkt beim Verarbeiter schaffen
Weiterhin besteht während des Projektes die Intention, Möglichkeiten zu erschaffen, die das materialspezifische Wissen direkt beim Anwender erhöhen. Hierdurch können Kosten- und Qualitätspotentiale ausgeschöpft und die Materialeigenschaften konkret auf die jeweiligen Anforderungen des Produktes ausgerichtet werden. Dies schafft für die Verarbeiter die Möglichkeit, neben den rein geometrischen und funktionalen Aspekten eines Produktes, auch die materialspezifischen Eigenschaften optimal abzubilden und so einen Wettbewerbsvorteil gegenüber der Konkurrenz zu erlangen. Vor dem Hintergrund einer engen Verzahnung zwischen Material- und Produktentwicklung, muss die Gründung einer firmeninternen Kompetenz in der Materialentwicklung die Intention der Verarbeiter sein. Hierbei können externe Dienstleister erste Ansatzpunkte bieten. Auf lange Sicht muss es jedoch das Ziel eines jeden Anwenders sein, eine Materialentwicklungskompetenz im eigenen Hause zu etablieren, um Synergieeffekte in der Produkt- und Materialentwicklung erfolgreich auszunutzen.


Darstellung einiger der anzuwendenen Prüfverfahren: Oben: Zugversuch; Mitte: 3-Punkt-Biegeversuch; Unten: Schlagzähigkeitsprüfung
Darstellung einiger der anzuwendenen Prüfverfahren: Oben: Zugversuch; Mitte: 3-Punkt-Biegeversuch; Unten: Schlagzähigkeitsprüfung
Vorgehensweise
Die Vorgehensweise im Projekt gliedert sich in drei Arbeitspakete: Referenzuntersuchungen, allgemeine Verfahrensanalyse und Optimierung des Gesamtkonzeptes.

Im ersten Schritt erfolgt die experimentelle Untersuchung von Referenzmaterialien, die hinsichtlich ihres rheologischen, kalorischen, mechanischen und thermischen Verhaltens analysiert werden. Die ermittelten Werte dienen im weiteren Verlauf als Referenz für die zu entwickelnden Materialien. Hierfür erfolgt die Beschaffung eines geeigneten Versuchswerkzeuges. Der Kern des Projektes wird sich der verfahrenstechnischen Analyse des Prozesses widmen. Hier werden Fragestellungen nach der Homogenität der eingearbeiteten Füll- und Verstärkungsstoffe, dem Abbau der Faserlängen oder der Zuführung der Komponenten von Bedeutung sein. Gegebenenfalls müssen notwendige Zusatzkomponenten identifiziert, angeschafft und integriert werden. Darüber hinaus werden der Einfluss der verschiedenen Verfahrens- und Prozessparameter sowie die Auswirkungen von Verarbeitungshilfsmitteln und Additiven analysiert. Im letzten Schritt erfolgt eine Optimierung des Gesamtkonzeptes, bei der eine Kopplung zwischen Dosierung, Plastifizierung, Spritz- und Compoundiervorgang, Analyse und Auswertung das Ziel ist. Für eine praxisnahe Behandlung der Projektinhalte ist abschließend eine Übertragung auf ein konkretes Anwendungsbeispiel geplant, wobei mit Hilfe des neuen Verfahrenskonzeptes ein produktspezifisches Material entwickelt wird.
Es wird deutlich, dass in der Produktentwicklung die Auswahl eines geeigneten Materials von immer größerer Bedeutung ist, um das vorgegebene Eigenschaftsprofil bestmöglich abbilden zu können. Das Projekt "Produktspezifische Materialentwicklung" (PSM) schafft hierbei eine Basis für den Anwender, möglichst effizient und einfach, explizit auf das jeweilige Produkt angepasste Rezepturen zu entwickeln und einsetzen zu können.


Das K-Lab
Das K-Lab wurde in Zusammenarbeit mit der Kunststofftechnik an der Universität Paderborn (KTP) gegründet und versteht sich als zentraler, industrienaher Ansprechpartner für sämtliche Fragestellungen rund um das Thema Spritzgussverarbeitung. Es bietet den regionalen Unternehmen eine Schnittstelle, die die Lücke zwischen Industrie und Hochschule schließt.

Das Leistungsangebot reicht von Ingenieurdienstleistungen wie Prozessoptimierung, Abmusterung, Material- und Bauteilanalyse bis hin zur Initiierung gemeinsamer anwendungsorientierter Forschungsprojekte. Die Nutzung öffentlicher Förderprogramme ermöglicht dabei auch kleinen und mittleren Unternehmen den Zugang zu Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten, um im Markt durch innovative Produkte und Verfahren zu überzeugen. Der stetige Kontakt zur regionalen kunststoffverarbeitenden Industrie sorgt darüber hinaus für einen permanenten Wissenstransfer, der letztendlich Voraussetzungen schafft, bestehende Marktpositionen zu sichern und neue Märkte zu erschließen.

Die wissenschaftliche Ausbildung der K-Lab Mitarbeiter sowie der intensive Kontakt zum Institut für Polymere Materialien und Prozesse der Universität (PMP) bieten vielfältige Möglichkeiten, Frage- und Problemstellungen aufzugreifen und fundiert zu bearbeiten.

Literatur
[1] Stebani, J.: Die Kunststoffwelt im Umbruch. Neue Konzepte, neue Unternehmen, neue Chancen. Kunststoffe 6 (2002), S. 28- 31
[2] Schmitt, B. et al.: Klimawechsel. Kunststoffe 89 (1999) 6, S. 24 – 31
[3] Stebani, J.; Maier, G.; Bacher, E.: Schneller – umfassender – effizienter. Kunststoffe 9 (2007), S. 227-231


K-Lab an der Universität Paderborn

Hohenloher Weg 16a
33102 Paderborn, Deutschland

Tel.:   +49 (0) 5251 41768-50
Fax:   +49 (0) 5251 41768-68
Email: ellen.albring@ktp.upb.de

Internet: www.klab-owl.de


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