Fachartikel vom 02.03.2022

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Regranulat aus Organoblech-Beschnitten im Spritzguss einsetzen

DI Gerhard Bäck, DI Dr. Klaus Fellner, DI Florian Gruber BSc, Dr.-Ing. Norbert Müller, ENGEL Austria GmbH

Thermoplastische Composites ebnen dem automobilen Leichtbau den Weg in die Kreislaufwirtschaft und stehen bei den Designern deshalb hoch im Kurs. Mit Bauteilstückzahlen im hohen sechsstelligen Bereich pro Jahr ist die Verarbeitung von Organoblechen aktuell die bedeutendste thermoplastische Composite-Technologie. Ein Schwerpunkt in der weiteren Entwicklung ist das Recycling von Produktionsabfällen wie Beschnittresten. ENGEL konnte nachweisen, dass sich Regranulate aus Organoblechverschnitt bei Beibehaltung der Materialeigenschaften im Spritzguss verarbeiten lassen. Dies macht es möglich, die Composite-Rohstoffe vollständig im Kreislauf zu halten.

Organobleche sind Faser-Matrix-Halbzeuge, die meistens als Plattenware angeboten werden. Sie bestehen aus Endlosfasern, die in eine thermoplastische Kunststoffmatrix eingebettet sind. Der rein thermoplastische Ansatz ermöglicht die effiziente Integration von Umformung und Funktionalisierung der Halbzeuge, was die Stückkosten senkt und die Technologie für die Automobilindustrie interessant macht. Zur Verarbeitung werden die Organobleche erwärmt, direkt im Spritzgießwerkzeug umgeformt und unmittelbar danach durch Spritzgießen mit den gewünschten Detailgeometrien versehen. In der Regel werden zum Spritzgießen Materialien aus der Gruppe des Matrixmaterials des Organoblechs verwendet. In der weiteren Konsequenz sollen zukünftig auch Regenerate aus Beschnittresten der Organobleche eingesetzt werden. So ließen sich Bauteile herstellen, die vollständig aus einem einzigen faserverstärkten Thermoplast bestehen und am Ende ihrer Nutzungsdauer im Sinne der Kreislaufwirtschaft stofflich sehr gut recycelt werden könnten.

Picture 1: For the tests, a regranulate (right) was produced from thermoplastic sheet offcuts based on unidirectional (UD) tapes (left). (Pictures: PURE LOOP)
Picture 1: For the tests, a regranulate (right) was produced from thermoplastic sheet offcuts based on unidirectional (UD) tapes (left). (Pictures: PURE LOOP)
Sowohl in der Herstellung der Plattenware als auch bei der Verarbeitung fallen selbst bei einem optimalen Nesting Verschnittabfälle an. Beim Nesting geht es darum, die benötigten Geometrien so anzuordnen, dass möglichst wenig Verschnitt entsteht, um kein Rohmaterial zu verschwenden. Geringe Verschnittanteile liegen zwischen 5 und 10 Prozent der Organoblechfläche, bei ungünstigem Nesting oder komplexen Bauteilstrukturen kann der Verschnittanteil aber auch 35 Prozent und mehr betragen. Das Recycling dieser Produktionsabfälle ist damit nicht nur ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, sondern auch eine Kostenersparnis.

Zum Nachweis der Machbarkeit haben der Spritzgießmaschinenbauer ENGEL (Schwertberg, Österreich) und PURE LOOP, ein Unternehmen der auf Kunststoffrecycling spezialisierten EREMA Gruppe mit Sitz in Ansfelden, Österreich, in einer Versuchsreihe die Aufbereitung von Organoblech-Verschnittabfällen und die anschließende werkstoffgerechte Verarbeitung des Regenerats untersucht.


Länge der Glasfasern erhalten

Picture 2: The composite material used for the tests was produced by Profol in Germany from glass fibres and polypropylene. (Picture: Profol)
Picture 2: The composite material used for the tests was produced by Profol in Germany from glass fibres and polypropylene. (Picture: Profol)
Für die Versuche wurde aus Organoblech-Verschnittabfällen auf Basis unidirektionaler (UD)-Tapes [1] ein Granulat hergestellt (Bild 1). Hierfür wurden die Schnittreste zerkleinert und der Fasergehalt beim Aufschmelzen durch Zugabe von unverstärktem Matrixmaterial verringert. Organobleche haben typischerweise einen Fasergehalt von bis zu 72 Gew.-%, der für eine Verarbeitung im Spritzguss zu hoch wäre. Beim Verringern des Fasergehalts müssen die Fasern gleichmäßig in der Matrixmenge dispergiert werden. Ziel ist, dass die Regranulate ein Eigenschaftsniveau erreichen, das mit dem von Neuware bei Langglasfasergranulaten vergleichbar ist. Entscheidend für Leichtbauanwendungen ist neben der Steifigkeit vor allem die hohe mechanische Belastbarkeit des Materials, die nur sichergestellt werden kann, wenn die Länge der Fasern erhalten bleibt und die Fasern gleichmäßig in der Matrix verteilt sind. Herkömmlich resultieren aus langglasfaserverstärkten Materialien beim Aufbereiten Materialien mit kürzeren Fasern. Die Herausforderung beim Recycling der endlosfaserverstärketen Organoblech-Halbzeuge war demnach, eine Aufbereitung und Verarbeitung im Spritzguss zu etablieren, die zum Erhalt von möglichst großen Faserlängen führt.

ENGEL nutzte für die Versuche Organobleche der Marke Progano von Profol (Halfing, Deutschland), die aus UD-Tapes mit 72 Gew.-% Glasfasern in einer Polypropylen-Matrix aufgebaut sind (Bild 2). Durch kundenspezifische Zuschnitte fallen Reststücke an.

Für die Regranulierung der Beschnittabfälle kam eine ISEC evo 302 Anlage von PURE LOOP zum Einsatz (Bild 3). Das Besondere dieser Anlage ist, dass Schredder und Extruderschnecke auf einer gemeinsamen Welle sitzen. Die Beschickung erfolgte mit ca. 1,5 Meter langen Organoblechstreifen. Angestrebt wurde eine Verdünnung des Fasergehalts auf 40 Gew.-%.

Mit Hilfe eines Förderbands wurde das Beschnittmaterial der Anlage zugeführt. Es fällt in einen Trichter, an dessen unterem Ende die Welle beginnt. In diesem Bereich der Welle sitzen die Schneidelemente. Das zerkleinerte Material gelangt durch einen Verdichterbereich zu einer Irisblende, die den Materialstrom regelt. Unverstärktes PP wird in Granulatform zugeführt und das Materialgemisch wird plastifiziert. Auf einen Filter im Extrusionsbereich wurde bewusst verzichtet, denn dieser würde die langen Fasern entfernen. Abschließend wurde das Material heiß abgeschlagen und in einer Zentrifuge getrocknet.

Picture 3: An ISEC evo 302 production unit by PURE LOOP was used to regranulate the offcut waste. The shredder and extruder screw of this system are mounted on a shared shaft. (Picture: PURE LOOP)
Picture 3: An ISEC evo 302 production unit by PURE LOOP was used to regranulate the offcut waste. The shredder and extruder screw of this system are mounted on a shared shaft. (Picture: PURE LOOP)
Zur Analyse wurde das resultierende Granulat verascht und es wurde eine optische Glasfaserlängenauswertung durchgeführt. Es zeigt sich, dass mit der getesteten Aufbereitungskette ausreichend lange Fasern erhalten bleiben. Im Veraschungsrückstand lagen Glasfasern mit über 4 mm Länge vor. Die Einstellung des Fasergehalts lässt sich beim Zuschneiden der Beschnittstücke optimieren. Je kleiner die Teile, desto gleichmäßiger werden sie vermahlen und mit dem Matrixmaterial vermischt. Aus der Dichte zurückgerechnet hat das Rezyklat einen Fasergewichtsanteil von rund 35 Gew.-%.

Die erfolgreiche Aufbereitung von Produktionsabfällen zeigt das Potenzial für Automobilbauteile am Ende der Fahrzeugnutzungsdauer auf. Nach dem Reinigen der Bauteile und dem Entfernen von eingesetzten metallischen Einlegeteilen können diese auf die gleiche Weise in Regranulat rückgeführt werden.


Im Spritzguss kein Unterschied zu Neuware

In der weiteren Folge wurden mit dem erhaltenen Regranulat Spritzgießversuche durchgeführt, um sowohl die Verarbeitbarkeit als auch die zu erzielende Bauteilqualität beurteilen zu können. Im Technikum von ENGEL am Stammsitz in Schwertberg wurden auf einer e-victory 1640/300 Spritzgießmaschine Musterteile produziert, einer Anlage, die für die Fertigung von Organoblech-Bauteilen mittlerer Größe prädestiniert ist. Aufgrund ihrer holmlosen Schließeinheit ermöglicht die e-victory Hybridmaschine mit elektrischer Spritzeinheit ein schnelles Hothandling, was bei der Herstellung von Produkten mit dünnen Organoblechen entscheiden für die Realisierbarkeit des Prozesses ist.

Picture 4: Sample parts with near-series maturity were produced in an integrated process at LIT Factory in Linz, Austria. (Image: ENGEL)
Picture 4: Sample parts with near-series maturity were produced in an integrated process at LIT Factory in Linz, Austria. (Image: ENGEL)
Im Mittelpunkt der Verarbeitungsversuche stand das Prozessverhalten des Regranulats im Vergleich zu Serienmaterial. Als Referenz wurde eine langglasfaserverstärkte Neuware, ein PP GF40 vom Typ GB477HP von Borealis, verarbeitet. Beide Materialien wurden mit drei unterschiedlichen Schneckendrehzahlen plastifiziert, um die Prozesskonstanz beurteilen zu können. Aus den annähernd linearen Dosierkurven ohne Einbrüche lässt sich ein einwandfreies Dosierverhalten ableiten. Die Dosierzeitschwankungen beider Materialien waren vergleichbar.

Das Regranulat wurde in einem Masterbatchmischer versuchsweise vorgemischt, um den Einfluss eines optionalen Homogenisierungsschritts – zum Beispiel in einem Silo mittels Rührer – nachzustellen. Das Wiegen der Bauteile ergab für das Regranulat leicht höhere Standardabweichungen gegenüber der Neuware. Absolut gesehen waren die Standardabweichungen aber für beide Materialien sehr gering. Bei einem Sollschussgewicht von 400 Gramm lag die Standardabweichung beim Verarbeiten des Regranulats im Bereich von 0,7 Gramm und beim Verarbeiten der Neuware bei etwa 0,15 Gramm.

Picture 5: The very good quality of the sample parts produced, and the high efficiency of the integrated manufacturing process demonstrate the huge potential of processing thermoplastic sheet offcut waste. (Pictures: ENGEL)
Picture 5: The very good quality of the sample parts produced, and the high efficiency of the integrated manufacturing process demonstrate the huge potential of processing thermoplastic sheet offcut waste. (Pictures: ENGEL)
Da die Materialien bei der Spritzgießverarbeitung gut homogenisiert werden, wurden bei der Auswertung der Faserlängen und -anteile, keine signifikanten Unterschiede zwischen Regranulat und Neuware erwartet, was die Versuche bestätigten. Die zusätzliche Homogenisierung im Masterbatchmischer brachte keine weitere Verbesserung der bereits guten Werte. Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass das Regranulat im Spritzgießprozess ebenso gut wie Neuware verarbeitet werden kann.


Automobile Serie im Blick

LIT Factory
Die LIT Factory des Linz Institute of Technology (LIT) an der Johannes Kepler Universität ist eine vernetzte Lehr-, Lern- und Forschungsfabrik. Mit Fokus auf die Digitalisierung und Vernetzung von Produktionsprozessen werden dort vor allem Leichtbautechnologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von der Produktentwicklung und Verarbeitung bis hin zur Wiederverwertung im Sinne einer Kreislaufwirtschaft – entwickelt und optimiert. EREMA und ENGEL gehören zu den Gründungsmitgliedern und Partnern der LIT Factory.
Nach den erfolgreichen Regranulier- und Spritzgießversuchen anhand von tapebasierten Organoblechen stellte sich die Frage nach der Übertragbarkeit auf reale Bauteile. ENGEL und PURE LOOP haben gemeinsam mit der LIT Factory in Linz, Österreich, in einem integrierten Prozess seriennahe Musterteile produziert (Bild 4). Die endlosfaserverstärkten Organobleche wurden zugeschnitten und über Magazine dem Handlingroboter zugeführt. Sie wurden im integrierten IR-Ofen erwärmt, vom Knickarmroboter in das Werkzeug der ENGEL duo 350 Spritzgießmaschine eingelegt, dort umgeformt und mit dem Regranulat der Beschnittabfälle umspritzt (Bild 5 und Titelbild). Die sehr gute erzielte Bauteilqualität und hohe Effizienz des integrierten Verarbeitungsprozesses zeigen das große Potenzial der Aufbereitung von Organoblech-Verschnittabfällen für Serienanwendungen im automobilen Leichtbau auf. ENGEL und PURE LOOP arbeiten weiter gemeinsam daran, dieses Potenzial zu heben.

Literatur
Müller, N., Zwicklhuber, P.: Blick fürs Essenzielle, Kunststoffe 8/2020, S. 26-29


ENGEL Austria GmbH

Ludwig-Engel-Straße 1
4311 Schwertberg, Oesterreich

Tel.:   +43(0)50 620-0
Fax:   +43(0)50 620-3009

Internet: www.engel.at


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