Fachartikel vom 15.06.2010

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Filigran und fest - Wie die Strahlenenergie den CO2-Ausstoß und Ressourcenverbrauch senken hilft

Dr. Andreas Ostrowicki, BGS Beta-Gamma-Service GmbH & Co. KG

Vor allem im Fahrzeug- und Flugzeugbau suchen Konstrukteure permanent nach Wegen, die zur Gewichtsersparnis führen. Eine Einsparung an Masse verspricht zweierlei Nutzen. Der Hersteller des Produktes profitiert von der Senkung der Herstellungskosten, der Verwender freut sich über eine Verringerung der Betriebskosten. Durch Bestrahlung optimierte Kunststoffe spielen dabei eine tragende Rolle.

Filigraner mit Kunststoff
Strahlenvernetzung:

Strahlenvernetzung ist eine einfache Methode zur Überführung von Massenkunststoffen und technischen Kunststoffen in Hochleistungskunststoffe. Unter Vernetzung versteht man das chemische Verknüpfen von Makromolekülen. Die Energie der eingebrachten Strahlung bewirkt diesen Prozess, der zu bemerkenswerten Verbesserungen der Materialeigenschaften führt. Hierbei sind vorrangig zu nennen:
  • die höheren Dauergebrauchstemperaturen,
  • Verminderung des Kriechens (Kaltfluss),
  • Verbesserung der Abriebfestigkeit und der Rückstelleigenschaften.
  • Beständigkeit gegen Chemikalien wird besser (Quellverhalten).

Die Vernetzung erfolgt nach der Formgebung, wie dem Spritzgießen, Extrudieren oder Blasformen. Der Vorteil: die technischen Prozesse für Formgebung und Strahlenvernetzung können räumlich und zeitlich entkoppelt und damit getrennt voneinander optimiert werden. Produkte können entweder als Endlosware auf Trommeln oder als Stückgut bis zu 10 m x 1,60 m behandelt werden.

Kunststoffe bieten dem Konstrukteur große Freiheitsgrade bei der Formgebung. Die Möglichkeiten der Gestaltung sind ungleich vielfältiger als bei traditionellen Materialien, wie Metall oder Holz. Hinzu gesellen sich noch die Optionen für die Gestaltung der Oberflächen. Nicht nur aus Gründen der Materialersparnis sondern auch wegen des ökonomischeren Betriebs wird es immer bedeutsamer, Tragwerke so zu konstruieren, dass durch eine günstige Formgebung der Struktur das Material optimal ausgenutzt wird. Konstrukteure beginnen, dabei auch von der Natur zu lernen. Weil diese Formen oft sehr komplex sind, können sie mit realistischem Aufwand nur mit Kunststoff realisiert werden.

In allen Arten von Fahrzeugen beginnen Kunststoffe, traditionelle Materialien zu verdrängen. Derzeit beträgt der Anteil von Kunststoffen an der Masse von Kraftfahrzeugen bereits ca. 18%, wird aber schon im Jahre 2020 auf 25% anwachsen, ein Drittel davon Funktionsbauteile. Zu den Ansprüchen an das Material gehören neben dem geringeren Gewicht eine erhöhte Steifigkeit, bessere Wärmestandfestigkeit und eine gute Resistenz gegenüber Kraftstoff und Ölen. Damit müssen auch die Entwickler von elektrischen Bauteilen, wie Steckverbindern, Klemmen, Spulenkörpern, aber auch MID-Bauteilen rechnen. Technische Kunststoffteile für die Automobilindustrie tragen neben ihren funktionellen Vorteilen vor allem zur Reduzierung des Benzinverbrauchs bei. 100 kg Kunststoffe ersetzen schätzungsweise 200-300 kg herkömmlicher Werkstoffe - dies entspricht einer Drosselung des Benzinverbrauchs von 750 Litern bei einer Laufleistung von 150.000 km und macht höhere Zuladungen bei Nutzfahrzeugen möglich.

Kein Wunder dass die Umsätze der Kunststoff verarbeitenden Industrie in der Fahrzeugbranche im Jahre 2007 um 9,5% zugenommen haben (Quelle: Gesamtverband Kunststoffverarbeitung e.V.).

Kunststoffe nach Maß – durch Energie

Kalotten-Modell: die Energie stiftet neue Verbindungen zwischen den Molekülen eines Polymers; hier gezeigt am Polyethylen
Kalotten-Modell: die Energie stiftet neue Verbindungen zwischen den Molekülen eines Polymers; hier gezeigt am Polyethylen
Um sie widerstandsfähig zu machen für höhere Belastungen, bringt man die Moleküle der Kunststoffe dazu, sich untereinander zu verbinden. Dieser Vorgang, die ‚Vernetzung’, wird durch Bestrahlung mit energiereichen Elektronen- oder Gammastrahlen präzise gesteuert. Die Energie der Strahlung wird vom Material absorbiert. In einer chemischen Reaktion entstehen so neue Bindungen zwischen den Molekülen des Polymers.

Die Strahlenvernetzung wirkt sich positiv aus bei höheren Dauergebrauchstemperaturen, Verminderung des Kriechens (Kaltfluss), Verbesserung der Abriebfestigkeit und der Rückstelleigenschaften aus. Alle an modernen Fahrzeugen vorkommenden Kunststoffteile können durch die Strahlenvernetzung optimiert werden, angefangen beim kleinen Elektronikbauteil aus Polyamid (PA) oder Polybutylenterephtalat (PBT) bis hin zum kompletten Stoßfänger aus Kohlefaser verstärkten (CFK) Kunststoffen. Gerade im Motorbereich, wo es oft zur Kombination von hohen Temperaturen und aggressiven Fluiden kommt, besteht noch ein großes Einsatzpotential

Verbundwerkstoffe gehen in Führung

Höhere Festigkeiten bei geringer Masse versprechen Faserverbundwerkstoffe. Allen bekannt: das Chassis von Formel 1 Fahrzeugen aus kohlefaserverstärktem Kunststoff. Auch für die Motoren-Entwicklung in der Formel 1 nutzen die Ingenieure zunehmend extrem leichte und gleichzeitig hochstabile Glasfaser- und Carbonteile. Auch in vielen anderen Bereichen – etwa im Maschinenbau und in der Bauwirtschaft – können diese neuen Materialien in Zukunft Stahl und Kunststoff ersetzen.

Wenn die Harze allerdings bei erhöhten Temperaturen ausgehärtet werden, führen die unterschiedlichen thermischen Ausdehnungskoeffizienten der beteiligten Materialien lokal zu Delaminationen oder zu Thermospannungen im Material. Die Konstrukteure begegnen diesem Effekt durch entsprechende Materialzugaben, was aber wieder zulasten des Gewichts geht. Die Alternative hierzu ist das Aushärten der faserverstärkten Harze durch energiereiche Strahlen. Da die Aushärtung der Harze mit Strahlen nahezu bei Raumtemperatur stattfindet, tritt auch der störende Effekt der Delamination nicht auf. Die hohen Festigkeitswerte eines solchen Laminats ermöglichen es dem Konstrukteur, seine Produkte wesentlich filigraner zu gestalten und somit Gewicht einzusparen. Zudem ist die Härtung mit Elektronen deutlich energieeffizienter und schneller als thermische Verfahren. Große Chancen werden bei der Nachhärtung von thermoplastisch formbaren Halbzeugen (LFT, GMT, „Organobleche“) gesehen, da die in Massenfertigungsprozessen herstellbaren Bauteile durch die Elektronenstrahlhärtung das Eigenschaftsbild duromerer Werkstoffe erhalten.

Flugzeugmontage: Die Montage der Boeing 787, dem 'Dreamliner'. Durch die konsequente Verwendung von kohlefaserverstärktem Kunststoff konnte das Gewicht um 20 % gesenkt werden. (Foto. Boeing)
Flugzeugmontage: Die Montage der Boeing 787, dem 'Dreamliner'. Durch die konsequente Verwendung von kohlefaserverstärktem Kunststoff konnte das Gewicht um 20 % gesenkt werden. (Foto. Boeing)
Auch bei Bauteilen aus faserverstärkten Thermoplasten werden durch eine Bestrahlung höhere mechanische Festigkeiten erzielt. Wie der Lehrstuhl für Kunststofftechnik der Universität Erlangen herausfand, resultieren durch eine Bestrahlung von Teilen aus dem Thermoplast Polyamid nicht nur verbesserte Werkstoffeigenschaften der Thermoplaste selber, sondern es wird auch die Haftung der Fasern zum Polyamid verbessert.

Wohin die Reise geht, zeigt der Flugzeughersteller Boeing. Im neuen Modell 787 werden 50 % der grundlegenden Strukturen, einschließlich des Rumpfs und der Tragflächen, aus Verbundmaterialien hergestellt. Damit verbraucht das Flugzeug 20 % weniger Treibstoff als vergleichbar große Flugzeuge. Mit dem Gewicht schrumpfen auch die Herstellkosten: Eine Rumpfsektion aus Kunststoff macht 1.500 Aluminiumblechteile und mehr als 40.000 Nieten überflüssig.

Aus Weich mach’ Hart

Weicher, zur Nachvernetzbarkeit modifizierter Polyurethanschaum gehört zu den Kunststoffen, die mit Hilfe energiereicher Strahlen in ihren Werkstoffeigenschaften verändert werden können. So werden die vorteilhaften Verarbeitungsmöglichkeiten des Weichschaumstoffes mit den mechanischen Eigenschaften von Hartschaumstoffen verknüpft und die Herstellung komplex geformter Hartschaum-Formteile wesentlich erleichtert. Durch die anschließende beidseitige Beschichtung mit dünnen, hochfesten, metallischen oder Verbundmaterialien entstehen tragfeste Sandwich-Konstruktionen, die bei niedrigem Gewicht hohe Festigkeitswerte aufweisen.

Die Gateway Bridge des Gateway Motorway der Australischen Metropole Brisbane. (Foto: Bilfinger Berger)
Die Gateway Bridge des Gateway Motorway der Australischen Metropole Brisbane. (Foto: Bilfinger Berger)
Auch in die Werkstoffe des Baugewerbes kommt Bewegung. Kommerziell bereits im Einsatz ist Beton mit einer Armierung aus Glasfasern anstelle von Stahl. Dieser Baustoff ermöglicht eine wesentlich schlankere Ausbildung der Bauteile. Gereckte Kunststoff-Fasern weisen nach einer Bestrahlung Festigkeitswerte auf, die weit über denen des Baustahls liegen. Die Vision von hochfesten, filigranen Bauwerken aus Faserbeton mit bestrahlten Fasern liegt zum Greifen nah.

Elektronenbeschleuniger mit einer Energie von 10 MeV und einer Leistung von 190 kW.
Elektronenbeschleuniger mit einer Energie von 10 MeV und einer Leistung von 190 kW.
Elektronenstrahl-Vernetzung findet bei leicht erhöhter Raumtemperatur statt, wodurch thermische Spannungen im Produkt vermieden werden. Der Prozess ist exakt einstell- und kontrollierbar, da die Strahlen-Dosierung nur von elektrisch einstellbaren Größen abhängt. Zudem ist das Verfahren, mit typischen Prozesszeiten im Sekundenbereich, äußerst schnell und effizient. Die Energiebilanz fällt im Vergleich zu konventionellen, thermischen Prozessen günstiger aus, weil die Energie direkt und praktisch verlustfrei aufs Material übertragen wird. Die kurzen Vernetzungszeiten ermöglichen den Einsatz von kontinuierlich operierenden, für Großserien geeigneten Anlagen. Das Verfahren erlaubt generell die Härtung unterschiedlicher Materialkombinationen, z.B. Kunststoff-Kunststoff, Kunststoff-Elastomer, sogar in Polymer-Metall-Verbunden können Polymere vernetzt werden, solange die Metalllschichten wenige Millimeter stark sind.

Das Angenehme für Kunststoff verarbeitende Betriebe: sie müssen nicht selber in Bestrahlungsanlagen investieren, denn die Strahlenvernetzung erfolgt abgekoppelt von der Formgebung (dem Spritzgießen, Extrudieren oder Blasformen), quasi auf dem Weg zum Endabnehmer.

Elektronenbeschleuniger

Ein Grundprinzip von Elektronenbeschleunigern ist mit dem Aufbau einer Braun'schen Röhre, der Bildschirmröhre, vergleichbar. Die beheizte Glühkathode emittiert Elektronen, die in einem starken elektrischen Feld beschleunigt und dadurch mit Energie „aufgeladen“ werden. Die Beschleunigung der Elektronen erfolgt in einem Hochvakuum.

Die Industrie verwendet heute Elektronenbeschleuniger mit einer maximalen Energie von 10 MeV und Leistungen bis fast 1.000 kW. Die Elektronen werden in mehreren Stufen auf diese Energie beschleunigt. In einem magnetischen Wechselfeld wird schließlich der Elektronenstrahl so abgelenkt, dass er schließlich als aufgefächerter Elektronenstrahl auf das zu bestrahlende Produkt trifft.

Lange wurden Elektronenbeschleuniger nur im Labormaßstab gebaut. Der Durchbruch bei der industriellen Erzeugung von Beta-Strahlen mit brauchbarer Leistung gelang erst zwischen 1975 und 1985.

Bei den ersten Gehversuchen mit Betastrahlen im Industriemaßstab spielte der Bestrahlungsdienstleister BGS Beta-Gamma-Service im bergischen Wiehl eine wichtige Rolle. Bereits 1983 gingen dort ein 0,56 MeV- und ein 3,0 MeV-Elektronenbeschleuniger mit 100 kW in Betrieb. Heute betreibt das Unternehmen im Werk Bruchsal die größte Anlage zur Elektronenbehandlung mit bis zu 10 MeV im industriellen Maßstab weltweit.


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Fritz-Kotz-Str. 16
51674 Wiehl, Deutschland

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