Fachartikel vom 20.11.2006

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Kunststoffindustrie braucht mehr Differenzierung in der Ausbildung

Dipl.-Ing. Peter H. Weller, Ing.-Büro. Kunststoff-Consulting, Dresden

Arbeitslosigkeit auf der einen Seite und Fachkräftemangel auf der anderen - ein unlösbarer gordischer Knoten? Diese zunächst so widersprüchliche Frage berührt sowohl Betroffene, als auch Verantwortliche gleichermaßen. Und wer erwartet, dass die derzeit anspringende Konjunktur diesen Widerspruch schon wesentlich mildern dürfte, der irrt.

Woran liegt es dann aber, wenn Initiativen oder Aufträge durch mangelndes Fachpersonal in Gefahr geraten? Die Antwort ist zunächst einfach: Es muss eine rechtzeitige, gute und marktgerechte Aus- und Weiterbildung erfolgen. Darüber darf man aber nicht nur reden, sondern es muss organisiert und schließlich auch getan werden.

"Kunststoffzeit" - Kunststoffe sind Bestandteile des täglichen Lebens

Ein prägnantes Beispiel ist die kunststoffverarbeitende Industrie Deutschlands, in der diese Widersprüche besonders hervortreten. Diese Branche ist praktisch in den letzten Jahrzehnten sowohl quantitativ, als auch qualitativ enorm gewachsen, und wir leben heute definitiv nicht mehr in der Eisenzeit, sondern in der Kunststoffzeit. Kein Verbraucher und kein komplexes Industrieerzeugnis kommen heute mehr ohne Kunststoff aus. Das fängt beim Handy an und hört beim Airbus 380 nicht auf. Längst ist die Zeit vorbei, in der die Kunststoffe als Ersatzstoffe eingesetzt wurden, obwohl viele Menschen jetzt noch so denken. Heute sind Kunststoffe zielgerichtet eingesetzte Werkstoffe, die auf ganz spezielle Anwendungen abgestimmt, aus dem täglichen Leben nicht mehr wegzudenken sind. Die kunststoffverarbeitende Industrie ist überwiegend mittelständisch organisiert und hat sich zu einem der wichtigsten technischen Dienstleister der gesamten Wirtschaft entwickelt.

Kunststoffverarbeitung in branchenneuen Unternehmen

Und das sagt die Statistik: Im letzten Jahr wurden in Deutschland mehr als 18 Millionen t Kunststoffe verarbeitet, das sind rund 5 Millionen t mehr als Stahl. Allein in Mitteldeutschland ist der Umsatz der Branche in den letzten zwei Jahren um 17,8 % gestiegen, wobei 2500 neue Jobs entstanden. Ein Trend, an den vor zehn Jahren noch kaum jemand dachte, ist heute schon Realität: Die Kunststoffverarbeitung wird in Branchen praktiziert, die vorher keine Kunststofffachleute benötigten. Ein typisches Beispiel dafür sind die Getränkebetriebe oder Großmolkereien, die ihre PET-Flaschen oder Joghurtbecher inzwischen selbst herstellen.

Mehr Verarbeitungsverfahren für Kunststoffe als für Metalle - aber nur ein anerkannter Ausbildungsberuf

Neben der Vielzahl der Kunststoffe selbst hat sich eine breite Palette zu ihrer technologischen Verarbeitung herausgebildet. Man muss sogar sagen, dass es heute mehr Verarbeitungsverfahren für Kunststoffe gibt, als wir es aus der Metallverarbeitung kennen. Aber der große Mangel besteht darin, dass es für die unterschiedlichen Metalltechniken ca. 80 staatlich anerkannte Ausbildungsberufe gibt, für die gesamte Kunststoff- und Kautschukverarbeitung aber nur einen einzigen. Und dieser "Verfahrensmechaniker für Kunststoff- und Kautschuktechnik" soll die gesamte Bandbreite der Kunststoff- und Kautschukverarbeitung beherrschen. Ein unhaltbarer Zustand, denn man kann nicht mit einem Berufsbild die Herstellung von Lichtschaltern über Rotorblätter für Windkraftanlagen bis hin zu LKW-Reifen erfassen.

Ausbildung muss technologischen Schwerpunkten folgen

Sowohl im Interesse der Auszubildenden, als auch der spezialisierten Unternehmen ist es dringend notwendig, sich in der kunststofftechnischen Aus- und Weiterbildung auf technologische Schwerpunkte zu konzentrieren. Das gilt im übrigen auch für die in Sachsen und Brandenburg gerade erst anlaufende Meisterausbildung der Kunststoffbranche. Aber auch das allgemeine Wissen über Kunststoffe und deren Verarbeitung ist in unserer Bevölkerung erschreckend gering. Und ohne die entsprechende Aufklärungsarbeit werden die einmaligen Arbeitsmarktchancen in der Kunststoffverarbeitung eben nicht erkannt. Dabei hat diese Branche besonders in Ostsachsen eine bemerkenswerte Tradition, einschließlich des Werkzeugbaues, ohne den eine Kunststoffverarbeitung ohnehin nicht möglich wäre. Kaum einer der ca. 66 Betriebe der Branche in Ostsachsen ist nach der Wende untergegangen, im Gegenteil, neue Kapazitäten sind vielerorts entstanden, bestehende wurden auf den neuesten Stand gebracht.

Abgeschlossene Berufsausbildung eröffnet auch Arbeitslosen neue Chancen

Diese Unternehmen arbeiten auf einem im europäischen Vergleich beachtlichen Niveau. Und die meisten gestandenen Fachkräfte kamen als Seiteneinsteiger aus artfremden Berufen. Doch eins hatten und haben sie alle gemeinsam: Das Interesse, etwas Neues anzufangen und dafür dazuzulernen. Aber um ihre Arbeitsplätze brauchen sie sich kaum noch Sorgen zu machen. Kopfzerbrechen bereitet den Betrieben vielmehr zunehmend der Fachkräftemangel, denn zu viele "alte Hasen" nehmen ihre Erfahrungen mit in den Ruhestand, und Fakt ist: Geeigneter Nachwuchs ist knapp und wird auf Grund der negativen demoskopischen Entwicklung immer knapper. Aber gerade hieraus resultieren die Möglichkeiten und Chancen für Arbeitslose mit zwar "artfremder", aber abgeschlossener Berufsausbildung. Notwendig dazu sind die Erkenntnis und der Wille aller Beteiligten, also der Unternehmer, der IHK, der Bildungsträger, der Arbeitsagenturen und natürlich der Arbeitssuchenden selbst. Ein in dieser Hinsicht sehr interessantes Angebot hat die TÜV Akademie GmbH in Dresden und Lauchhammer ausgearbeitet, um dem Fachkräfte-Dilemma in der Kunststoffverarbeitung aktiv zu begegnen.

Hintergrund

Der Autor Dipl.-Ing. Peter H. Weller war 40 Jahre in der ostsächsischen Kunststoff-Industie tätig und widmet sich seit 1998 als Privatdozent der Ausbildung und Beratung in dieser Branche. In Zusammenarbeit mit der IHK Dresden ist es ihm gelungen, die ersten Meister für Kunststofftechnik nach der Wende in Sachsen auszubilden. Im April 2006 haben alle Teilnehmer erfolgreich abgeschlossen. Zurzeit läuft ein neuer Meisterlehrgang in Riesa bei der TÜV Akademie GmbH mit Teilnehmern aus Berlin, Leipzig, Beeskow, Riesa, Pirna und Königstein. Der erste Meisterlehrgang ist auch bereits in Brandenburg angelaufen mit dem fachübergreifenden Teil, der fachspezifische beginnt 2007.

Kontakte:
TÜV Akademie GmbH, Tel.: 03574/781914, Herr Erbisch


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