Fachartikel vom 20.07.2010

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Belastbarer durch Strahlenenergie - Verbesserte tribologische Eigenschaften von Kunststoffteilen

Dr. Andreas Ostrowicki, BGS Beta-Gamma-Service GmbH & Co. KG

Wenn der Wartungstechniker gerufen wird, weil ein Gerät ausgefallen ist, sind nicht selten Kunststoffteile die Ursache des Problems, weil dem Material mehr zugemutet wird als es verkraften kann. Der Beitrag, der in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Kunststofftechnik an der Universität Erlangen entstand, zeigt, wie die Behandlung mit energiereichen Strahlen technische Kunststoffe in ihren tribologischen Eigenschaften so optimiert, dass sie auch mit den gestiegenen Anforderungen fertig werden.

Kunststoff auf dem Vormarsch

Ein Anwendungsfeld, auf dem Kunststoffe Materialien, wie Metall, verdrängen, sind nahezu alle Arten von Antrieben. Kunststoff ist das Material der Wahl für die Herstellung von Zahnrädern, Lagerbuchsen oder anderer Gleitelemente, z. B. Kurvenstücke. Wir finden die leichten und preiswert herstellbaren Teile in Büromaschinen, im Auto, in der Haustechnik und auch im Modellbau. Ihre Chemikalienbeständigkeit und die Fähigkeit ohne Schmierung auszukommen, prädestiniert Kunststoffteile für Anwendungen besonders in der Medizin- und Lebensmitteltechnik.

Wenn tribologische Kenntnisse stärker berücksichtigt werden, können beträchtliche Einsparungen beim Energie- und Materialeinsatz, der Produktion und Instandhaltung erzielt werden.
Wenn tribologische Kenntnisse stärker berücksichtigt werden, können beträchtliche Einsparungen beim Energie- und Materialeinsatz, der Produktion und Instandhaltung erzielt werden.
Dieses Getriebe aus Kunststoffzahnrädern kann preisgünstig hergestellt werden. Die Strahlenvernetzung sorgt dafür, dass es auch ein Leben lang ohne Wartungseinsatz funktioniert.
Dieses Getriebe aus Kunststoffzahnrädern kann preisgünstig hergestellt werden. Die Strahlenvernetzung sorgt dafür, dass es auch ein Leben lang ohne Wartungseinsatz funktioniert.
Zu den herausragenden Vorzügen von Getriebeteilen aus Kunststoff gehören:

  • geringes spezifisches Gewicht
  • große Druckfestigkeit, zwischen 500 und 1000 kg/cm², verbunden mit einer guten Schlagamortisation
  • hohe Kerbschlagzähigkeit - auch bei tiefen Temperaturen
  • Abrieb- und Verschleißfestigkeit
  • gute Gleit- und Notlaufeigenschaften
  • Korrosionsbeständigkeit
  • keine oder nur geringe Feuchtigkeitsaufnahme
  • gute bis sehr gute Chemikalien und Hydrolysebeständigkeit
  • Die Freiheit der Formgebung, verbunden mit Dimensionsstabilität

Weil sie ganz ohne Schmierung auskommen, zählen Kunststoffgleitlager zu den wichtigsten Vertretern bei den schmierungs- und wartungsfreien Gleitlagern. Ein Problem stellt allerdings der Temperaturausdehnungskoeffizient dar, er ist bei Kunststoffen deutlich höher als bei Metall. Um sicherzustellen, dass ein Getriebe nicht bei 120 °C anfängt zu blockieren, müssen die Konstrukteure die Temperaturausdehnung berücksichtigen, was aber zulasten der Präzision der Antriebe geht.

Was kann man dem Material zumuten?

Indes steigen mit wachsender Verbreitung die Anforderungen an die Kunststoffteile. Eine der größten Herausforderungen ist die Einsatztemperatur. Kunststoffgetriebe sollen auch unter extremen Temperaturen zuverlässig und wartungsfrei laufen. In Büromaschinen, wie z. B. Laserdruckern, müssen lokale Spitzentemperaturen von 150 °C und mehr verkraftet werden. Zahnräder aus Polyamid oder Polyacetal beispielsweise kommen hier an ihre Grenzen. Das Material beginnt aufzuweichen und ist dann nicht mehr in der Lage, die gleichen Kräfte wie bei Zimmertemperatur zu übertragen.

Bei der Auswahl des zu verwendenden Rohstoffs kommt es darauf an, was dem Werkstoff zugemutet werden soll und welcher Kunststoff die Anforderungen in Bezug auf Reibungskoeffizient, Druckfestigkeit, Einsatztemperatur, eventuelle Schlagbelastung und die notwendige Formbeständigkeit erfüllt. Wegen des besonders geringen Reibungskoeffizienten gegen andere Stoffe (z. B. Stahl) wird Polytetrafluorethylen (PTFE) gerne als Lagerwerkstoff verwendet. Sind die Anforderungen bei Antriebsteilen anspruchsvoll, wählen die Hersteller oft Hochleistungspolymere wie Polyaryletherketon (PEEK), Polyphenylensulfid (PPS) oder Duroplaste. Diese Materialien sind allerdings nicht nur sehr viel teurer als technische Thermoplaste, sondern stellen auch erhöhte Anforderungen an ihre Verarbeitung.

Relativbewegungen von Maschinenelementen aus Kunststoff führen stets zu Reibungs- und Verschleißprozessen, welche die Lebensdauer begrenzen. Wir erleben Einlaufschäden, Materialabtrag und Verschweißungen. Das fördert den Verschleiß und begrenzt die Lebensdauer infolge hoher Temperaturen oder Belastungen. Die eingesparten Herstellkosten werden oft durch häufigere Wartungseinsätze wieder egalisiert. Und dass solche Ausfälle nicht dazu geeignet sind, das Vertrauen in die Erzeugnisse des Anbieters zu fördern, versteht sich ebenfalls.

Der andere Weg

Dank Strahlenvernetzung arbeitet diese Buchse aus Polyamid auch problemlos bei Betriebstemperaturen von 140 °C und mehr. Eine Schmierung kommt bei diesen Einsatzbedingungen ohnehin nicht infrage
Dank Strahlenvernetzung arbeitet diese Buchse aus Polyamid auch problemlos bei Betriebstemperaturen von 140 °C und mehr. Eine Schmierung kommt bei diesen Einsatzbedingungen ohnehin nicht infrage
Zu Hochleistungspolymeren gibt es schon seit längerem eine wirtschaftlich interessante Alternative. Es sind technische Kunststoffe, die durch ‚Strahlenvernetzung’ optimiert werden. Mit Hilfe dieses Verfahrens lassen sich sie sich mit Eigenschaften versehen, wie man sie sonst nur bei Hochleistungskunststoffen findet und das sehr einfach und kostengünstig. Dipl. Ing. Joachim Gehring, Leiter der Anwendungstechnik beim Bestrahlungs-Spezialist BGS Beta-Gamma-Service, erläutert: „Durch die Energie von Strahlen werden die Kunststoffmoleküle zur Reaktion gebracht und es entsteht ein dauerhaftes Netzwerk, das dem Material die verbesserten Eigenschaften verleiht.“

Die Strahlenvernetzung ermöglicht nicht nur höhere Gebrauchstemperaturen, sondern auch verminderten Kaltfluss, erhöhte Wärmeformbeständigkeit, verbesserte tribologische Eigenschaften und bessere Rückstelleigenschaften, sowie höhere Beständigkeit in Hinblick auf Spannungsrissbildung. Auch der Temperaturausdehnungskoeffizient verringert sich durch die Bestrahlung.

Für die gezielte Vernetzung von Kunststoffen wird heutzutage hauptsächlich Elektronenstrahlung verwendet. Gelegentlich kommt wegen der besseren Durchdringung auch Gamma-Strahlung zum Einsatz. Die Vernetzung durch Elektronenbestrahlung findet bevorzugt in den amorphen Anteilen teilkristalliner Thermoplaste statt. Bei Mikrobauteilen und Zahnrädern liegt, bedingt durch die Geometrie, ein für die Ausbildung der Morphologie und Kristallinität ungünstiges Verhältnis von Bauteiloberfläche zu Bauteilvolumen vor. Damit weisen gerade die tribologisch stark beanspruchten Randbereiche amorphe Strukturen auf. Die aber profitieren besonders von der Strahlenvernetzung, in dem durch Vernetzung Abrieb und Verschleiß deutlich verringert werden.

Die Elektronenbestrahlung findet in der Regel bei Raumtemperatur statt. Aufgrund der größeren Beweglichkeit der Makromoleküle werden bei teilkristallinen Kunststoffen vorwiegend amorphe Bereiche vernetzt. Dabei verringert sich wiederum die temperaturabhängige Beweglichkeit der Molekülketten und führt mit steigendem Vernetzungsgrad zu einer Erhöhung der Glasübergangstemperatur.

Wissenschaftlich abgesichert

Abb. 1: Einfluss der Bestrahlung auf die tribologischen Eigenschaften; Paarung PA66 / Stahl: Stift-Scheibe (Quelle: LKT)
Abb. 1: Einfluss der Bestrahlung auf die tribologischen Eigenschaften; Paarung PA66 / Stahl: Stift-Scheibe (Quelle: LKT)
Das Einsatzpotenzial strahlenvernetzter Kunststoffe (vor allem Polyamide) wird schon seit Jahren am Lehrstuhl für Kunststofftechnik der Universität Erlangen (LKT) u.a. für die Anwendungen in der Elektronik und Tribologie untersucht und bewertet. Frau Dr.-Ing. Zaneta Brocka, Leiterin Neue Technologien: "Strahlenvernetztes Polyamid zeigt ein ausgezeichnetes Verschleißverhalten auch bei erhöhter Umgebungstemperatur und kann somit für Anwendungen eingesetzt werden, die bisher den kostenintensiven Hochtemperatur-Thermoplasten wie z.B. PEEK und PPS oder Duroplasten vorbehalten waren."

Abb. 2: Einfluss der Prüftemperatur auf den Verschleißkoeffizient und die Reibungszahl von vernetzten und unvernetzten PA66 (Feuchtegehalt: ~ 0,8 %), Paarung: PA66 / Stahl; Stift-Scheibe (Quelle: LKT)
Abb. 2: Einfluss der Prüftemperatur auf den Verschleißkoeffizient und die Reibungszahl von vernetzten und unvernetzten PA66 (Feuchtegehalt: ~ 0,8 %), Paarung: PA66 / Stahl; Stift-Scheibe (Quelle: LKT)
Das LKT führte in Zusammenarbeit mit BGS zahlreiche Versuche an strahlenvernetzten Zahnrädern aus PA66 durch. Für die Untersuchungen wurde vorwiegend das Polyamid 66 (Ultramid A3 / Fa. BASF) eingesetzt. Für den tribologischen Vergleich wurde zusätzlich ein wärmestabilisiertes PA66 (Creamid A3H2 / Fa. PTS) verwendet. Zur Durchführung der Untersuchungen wurden Platten mit den Abmessungen 110 x 110 x 4 mm hergestellt. Zur Herstellung von stark quasiamorphen Randschichten wurden zudem die Werkzeugtemperaturen variiert.

Abb 3: Einfluss der Elektronenbestrahlung auf die thermische Ausdehnung von PA66 (Wassergehalt < 0,2 %). TMA, Normalstempel, Heizrate 3 °C/min, keine Glättung der Messpunkte. x-Richtung: Spritzrichtung (Quelle: LKT)
Abb 3: Einfluss der Elektronenbestrahlung auf die thermische Ausdehnung von PA66 (Wassergehalt < 0,2 %). TMA, Normalstempel, Heizrate 3 °C/min, keine Glättung der Messpunkte. x-Richtung: Spritzrichtung (Quelle: LKT)
Vor allem in den amorphen Bereichen führt die Bestrahlung zu einer partiellen Vernetzung der Moleküle, wodurch die Wärmeformbeständigkeit und die Festigkeit erhöht werden. Gleichzeitig wurde eine Reduktion der Kriechneigung beobachtet, da das Abgleiten der Moleküle durch Vernetzungsstellen erschwert wird. Bei einem Vernetzungsgrad von 53% konnte der Verschleißkoeffizient des PA66-Materials von ursprünglich ca. 6 x 10-6 mm³/Nm auf 2,2 x 10-6 mm³/Nm gesenkt werden. Durch weitere Bestrahlungsvorgänge wurde ein Verschleißkoeffizient von 1,86 x 10-6 mm³/Nm bei einem Vernetzungsgrad von 60% erreicht. Beim zusätzlich wärmestabilisiertem PA66-Material wurde sogar ein Wert von 1,42 x 10-6 mm³/Nm (VG = 61 %) gemessen (Abb. 1). Die Reibungszahlen zeigen keinen signifikanten Einfluss bezüglich der Bestrahlung, liegen aber mit Werten zwischen 0,78 und 0,93 auf einem auch für Polyamid hohem Niveau.

Bei tribologischer Beanspruchung wird die maximale Einsatztemperatur des Kunststoffs durch die Reibungswärme und durch die Umgebungstemperatur bestimmt. In Abhängigkeit von der Temperatur ergeben sich für das vernetzte PA66 deutliche Abweichungen für die tribologischen Eigenschaften (Abb. 2). Die Strahlenvernetzung verhindert das Aufschmelzen des PA66. Das strahlenvernetzte PA66 zeichnet sich daher durch eine um nahezu 100 °C höhere Dauereinsatztemperatur, bei einem gleichzeitig niedrigen Verschleißkoeffizienten aus.

Die Bildung eines dreidimensionalen Netzwerkes infolge der Elektronenbestrahlung führt zudem zu einem geringeren thermischen Ausdehnungskoeffizienten (Abb. 3).

Genial einfach

Es spricht vieles für die Strahlenvernetzung. Das Verfahren ist sehr schnell und arbeitet mit dem ‚Rohstoff Elektronen’, dadurch gibt es keine Umweltbelastung durch Chemikalien. Die Produkte bekommen ihre Endeigenschaften unabhängig von der Formgebung, Thermoplaste werden dabei in Thermo-Elaste überführt. Bei Mehrstoffsystemen sorgt die Bestrahlung für eine optimierte Phasenankopplung (z.B. Faser-Matrix-Haftung). Weil die Strahlung Materialgrenzen durchdringt, können sogar Materialkombinationen aus Metall und Kunststoff bestrahlt werden.

Strahlenvernetzung ist ein bewährtes Kooperationsmodell: Für die Kunststoffhersteller fallen überhaupt keine Investitionen an, sie delegieren einfach die letzte Veredelungsstufe vor Auslieferung an Bestrahlungsdienstleister, wie BGS. Sorgen um die Materialqualität gibt es keine, weil nur wenige elektrische Parameter die Qualität des Verfahrens beeinflussen. Strahlenvernetzung liefert Produkte mit präzise reproduzierbaren Eigenschaften. Auch höchste Qualitätsanforderungen sind damit zu erfüllen. Der zeitliche Aufwand für die Bestrahlung ist gering, so dass die Produkte quasi "auf dem Weg zum Kunden" bei BGS vorbei gebracht werden können.

Wie die Strahlenvernetzung die tribologischen Eigenschaften von Thermoplasten verbessert
(nach Brocka)


Tribologische Anforderung / BelastungEffekte der Elektronenbestrahlung
Hohe VerschleißfestigkeitAnstieg des Vernetzungsgrades, verbesserte Verschleißfestigkeit, geringe Schädigung des Gleitpartners
Thermische Belastbarkeit
(Wärmeentwicklung durch Reibung)
Erhöhung der Glasübergangstemperatur; Erhöhung der Wärmeformbeständigkeit; Erhöhung der Temperatureinsatzgrenze
Hohe Passgenauigkeit (Lager),
geringes Spiel (Getriebe)
Verringerung des thermischen Ausdehnungskoeffizienten; geringere Kriechneigung
SchmierungVerbesserung der Chemikalien- und Spannungsrissbeständigkeit
Hohe mechanische Belastbarkeit
(übertragbare Momente / Zahnräder)
Verbesserte Festigkeit und geringere Kriechneigung


Co-Autorin:
Frau Zaneta Brocka
Lehrstuhl für Kunststofftechnik
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Am Weichselgarten 9
91058 Erlangen


BGS Beta-Gamma-Service GmbH & Co. KG

Fritz-Kotz-Str. 16
51674 Wiehl, Deutschland

Tel.:   +49(0)2261 7899-0
Fax:   +49(0)2261 7899-45
Email: ostrowicki@bgs.eu

Internet: www.bgs.eu


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