Fachartikel vom 29.04.2016

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Simulation - Auch eine Option für den Mikrospritzguss?

Cindy Löser, KUZ - Kunststoff-Zentrum in Leipzig gGmbH

Beim Makrospritzgießen ist es eine übliche Methode, den Spritzgießprozess zu simulieren, um schneller die optimalen Ergebnisse bei Produktdesign und Fertigung zu erhalten. Diese ist aber nach jetzigem Stand der Erkenntnis noch nicht zuverlässig auf den Mikrobereich übertragbar. Bei Formteilen mit sehr kleinen Wanddicken zeigen Untersuchungen ungenaue Ergebnisse bzgl. der Formfüllung und resultierender Druckverluste. Zum einen ist das auf fehlende Genauigkeit der Materialdaten und zum anderen auf die nicht ausreichend präzise Formulierung der erforderlichen, vor allem thermischen Randbedingungen zurückzuführen. Beim Mikrospritzgießen werden diese Randbedingungen umso wichtiger, da mit zunehmendem Miniaturisierungsgrad das Verhältnis der Oberfläche zum Volumen des Formteiles steigt und dementsprechend der Einfluss der thermischen Verhältnisse zwischen Werkzeug und Formteil auf das Füll- und Erstarrungsverhalten zunimmt.

Im Rahmen eines Forschungsprojektes am Kunststoff-Zentrum in Leipzig (KUZ) wurden systematische Untersuchungen an mikrostrukturierten Formteilen zur Korrelation zwischen den Ergebnissen der Spritzgießsimulation und der Formfüllung bzw. Abformung der mikrostrukturierten Formteile in der Realität durchgeführt. Das Prozessverständnis des Mikrospritzgießens sollte grundlegend untermauert werden sowie Zusammenhänge zwischen Prozessparametern beim Spritzgießen und erreichter Abformqualität der Mikrostrukturen zu qualifizieren. Das Ziel war es, die Vorteile der Spritzgießsimulation für Makroformteile auch auf die Mikrotechnik zu übertragen.

Für die Realisierung wurde eine komplexe Untersuchungsmethode entwickelt, die unter Verwendung zahlreicher Sensoren die Aufzeichnung der wichtigsten beim Spritzgießprozess entstehenden Prozessgrößen ermöglicht. Nicht nur der Werkzeuginnendruck an verschiedenen Stellen in der Kavität sondern auch der Druckverlauf im Einspritzzylinder ist aufgrund der Kompressibilität der Schmelze und dem daraus resultierenden Volumenstrom beim Einspritzen in die Kavität von besonderer Bedeutung.


Formteil

Abb. 1: Mikrofließstab mit Lage der Druck- und Temperatursensoren
Abb. 1: Mikrofließstab mit Lage der Druck- und Temperatursensoren
Das speziell für diese Maschine entwickelte Mikrofließstab-Werkzeug erlaubt eine unkomplizierte Änderung der Formteildicke im Bereich von 0,2-1,0 mm. Die Formteildicke beeinflusst die Druck- und Abkühlverhältnisse in der Schmelze und damit die Strukturabformung. Die Abformgenauigkeit wird mit Hilfe von auf dem Fließstab angeordneten zylindrischen Mikrostrukturen (Ø: 100-200 μm, h = 150 μm) untersucht.
Die drei Mikrostrukturbereiche befinden sich in verschiedenen Abständen zum Anguss auf einer Hälfte des
Fließstabes (Abb. 1).

Das Spritzgießwerkzeug ermöglicht die Variation der Wanddicke in 4 Stufen über austauschbare Leisten. Sensoren und Mikrostrukturen bleiben bei der Wanddickenänderung unangetastet. Das Werkzeugkonzept ist durch folgende Merkmale charakterisiert (Abb. 2):

Abb. 2: Mikrostrukturen, rechts: Formeinsatz mit integriertem Kern
Abb. 2: Mikrostrukturen, rechts: Formeinsatz mit integriertem Kern
  • Die Mikrostrukturen befinden sich in drei Formeinsätzen in der düsenseitigen Formplatte. Diese sind als Durchgangslöcher mit einem angrenzenden Kern gefertigt, so dass die Kavität in diesem Bereich optimal entlüftet ist und die Mikrostrukturen sich scharfkantig abbilden.
  • Die Thermofühler sind in einem düsenseitigen Formeinsatz fixiert und werden zwischen Formplatte und Aufspannplatte aus dem Werkzeug geführt. Somit behalten die Thermofühler bei der Wanddickenvariation ihre Position und werden nicht mit umgebaut.
  • Die Drucksensoren sind auswerferseitig im Bereich der Mikrostrukturen positioniert.
  • Heizung und Temperierung befinden sich kavitätsnah im Werkzeug.



Abformung der Mikrostrukturen

Die Überprüfung der Abformgenauigkeit wurde mit Hilfe des konfokalen Weisslichtmikroskops ConfoCam C301 der Fa. Confovis realisiert. Eine hohe Abformgenauigkeit zeigt sich, wenn der obere Durchmesser der Mikrostrukturen scharfkantig und die Deckfläche nicht kuppelartig sondern als flache Ebene abgebildet wird. Ausgewertet wird dabei nicht nur die Höhe der Mikrostruktur sondern auch der Durchmesser der Deckfläche zur Überprüfung der Abformgenauigkeit.


Ergebnisse

Im Rahmen dieser systematischen und umfassenden experimentellen Untersuchungen konnten folgende Erkenntnisse gewonnen werden:
Abb. 3: Steigende Wärmeübergangskoeffizienten mit zunehmender Zylinder- bzw. Werkzeugtemperatur bei einer Einspritzgeschwindigkeit von 50 mm/s
Abb. 3: Steigende Wärmeübergangskoeffizienten mit zunehmender Zylinder- bzw. Werkzeugtemperatur bei einer Einspritzgeschwindigkeit von 50 mm/s
  • Die Möglichkeit zur Bestimmung praxisrelevanter Prozessgrößen mit einer neuartigen Messmethodik unter Verwendung spezieller Sensortechnik.
  • Die Methode des Reverse Engineering und die daraus resultierende Bestimmung des Wärmeübergangskoeffizienten konnte mit Hilfe dieses Projektes für weitere Materialien wie z. B. PA6 und PMMA und einer noch nicht untersuchten Mikroformteilgeometrie nachgewiesen werden. Für die in Abb. 3 dargestellten Druck-Füllgrad-Beziehungen von vier Versuchspunkten steigen die Wärmeübergangskoeffizienten mit zunehmender Zylinder- bzw. Werkzeug-temperatur. Der Werkzeuginnendruck fällt aufgrund der höher werdenden Temperaturen geringer aus. Beim ersten Kontakt zwischen Schmelze und Werkzeug spielt die Viskosität eine große Rolle. Die höheren Temperaturen bedeuten, dass die niedrigviskose Kunststoffschmelze einen besseren Kontakt mit der Werkzeugwand hat und somit auch der Wärmübergang zwischen Schmelze und Werkzeug zunimmt.
  • Ein Einfluss der unterschiedlichen Wandstärken bei gleicher Formteilgeometrie auf die Abformung von Mikrostrukturen ist eindeutig erkennbar. Aufgrund des höheren Werkzeuginnendrucks bei kleineren Wandstärken zeigen sich hier nahezu unabhängig von den technologischen Einstellungen scharfkantig abgeformte Mikrostrukturen. Diese Abhängigkeit steigt mit zunehmender Wandstärke an. Bei einer Wandstärke von 1,0 mm ist nicht nur der Einfluss der Einstellparameter auf die Abformung am größten sondern auch in welcher Entfernung die Mikrostrukturbereiche vom Anguss liegen.
  • Die Mikrostrukturabformung in Abhängigkeit von der Erhöhung der Massetemperatur erzielt nicht den gewünschten Effekt für eine bessere Abformung. Im Gegensatz dazu ist bei Erhöhung der Werkzeugtemperatur eindeutig ein Einfluss erkennbar. Die Mikrostrukturen sind bei höheren Werkzeugtemperaturen in allen 3 Strukturbereichen scharfkantig abgeformt
  • Es konnten erstmals auch nur teilgefüllte Mikrostrukturen mit der Spritzgießsimulation dargestellt werden.
  • Die experimentell ermittelte Fließfrontgeschwindigkeit wurde als ein entscheidender Parameter für eine mögliche Erklärung bestimmt, warum praktisch teilgefüllte Mikrostrukturen in der Spritzgießsimulation häufig als gefüllt abgebildet werden.


KUZ - Kunststoff-Zentrum in Leipzig gGmbH

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