12.04.2012, 10:01 Uhr | Lesedauer: ca. 7 Minuten |
„Verbrauchertäuschung von Aldi und Rewe mit angeblich kompostierbaren Einkaufstüten“ Mit ihren angeblich kompostierbaren Einkaufstüten geben die Handelsunternehmen Aldi und Rewe aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe e.V. (DUH) ihren Kunden das Gefühl, einen Beitrag zum Umweltschutz zu leisten. Recherchen der DUH haben nach Angaben der Umweltschutzorganisation jetzt ergeben, dass die als ökologisch beworbenen Kunststofftüten weder umweltfreundlich seien noch kompostiert werden würden. Im Rahmen einer Pressekonferenz am 11.4.2012 in Berlin warf die Umwelt- und Verbraucherschutzorganisation den beiden Supermarktketten Greenwashing und Verbrauchertäuschung vor und forderte sie auf, die bewusste Irreführung sofort zu beenden. Aldi und Rewe bieten demnach in ihren Filialen Tüten aus so genanntem Bioplastik an und würden mit deren angeblichen Umweltvorteilen werben. So seien die Tragetaschen „so weit wie möglich aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt“ und „100% kompostierbar“. Während Rewe seinen Kunden verspreche, mit dem Kauf der Einwegtüte „gemeinsam Gutes“ zu tun, appelliere Aldi Süd über den Aufdruck „Zeig der Umwelt ein Lächeln“ direkt an das Gewissen der Konsumenten. Alle Tüten seien mit Motiven von Blumen, Tieren und grünen Feldern bedruckt und würden so den Eindruck erwecken, dass es sich bei den Tüten um ein ökologisch vorteilhaftes Produkt handeln würde. Ein grünes Keimling-Zeichen solle den Tragetaschen von offizieller Seite die Kompostierbarkeit bescheinigen. „Aldi und Rewe versuchen den Verbraucher für dumm zu verkaufen, indem man ihn glauben lässt, durch den Kauf der Tüten Gutes zu tun. Doch die angeblich ‚grünen‘ Plastiktüten helfen der Umwelt nicht, im Gegenteil. Sie werden nicht kompostiert, lassen sich auch nicht recyceln und bestehen hauptsächlich aus Erdöl“, kritisiert Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der DUH. Resch fordert deshalb von Aldi und Rewe, die Verbrauchertäuschung unverzüglich zu beenden und auf umweltfreundlichere Alternativen umzustellen. Im Rahmen einer umfassenden Abfrage bei der chemischen Industrie, Kunststofftütenherstellern, Handelsunternehmen, Kompostierern und Entsorgern hat die DUH nach eigenen Angaben recherchiert, was die scheinbar ökologisch vorteilhaften Kunststofftüten wirklich leisten würden. Besonders interessant sei, dass sie laut Herstellerangaben überhaupt nicht für die Eigenkompostierung geeignet seien. In industriellen Kompostierungsanlagen würden sie gemeinsam mit herkömmlichen Kunststofftüten als Störstoffe aussortiert, um Kunststoffreste im Kompost zu vermeiden. Eine Umfrage unter mehr als 80 deutschen Kompostierungsanlagen habe zudem belegt, dass eine Kompostierung biologisch abbaubarer Kunststoffe – darunter auch die vermeintlich zu 100 Prozent kompostierbaren Tragetaschen von Aldi und Rewe – praktisch nicht stattfinde. „Die gebräuchlichen biologisch abbaubaren Kunststoffe bauen sich viel langsamer als herkömmliche Bioabfälle ab, und führen dadurch zu hohen Störstoffanteilen im Kompost. Auf diese Weise verunreinigter Kompost lässt sich kaum noch vermarkten“, erklärt Herbert Probst, Vorstandsmitglied des Verbandes der Humus- und Erdenwirtschaft Region Nord e.V. Zwar seien die Aldi- und Rewe-Tüten nach der (öffentlich nicht zugänglichen) Norm DIN EN 13432 biologisch abbaubar. Jedoch offenbare diese bei genauerer Betrachtung eine große Schwäche. Denn nach ihrer Vorgabe müssten die Kunststofftüten erst innerhalb von zwölf Wochen unter bestimmten Vorgaben und Faktoren wie Feuchtigkeit, Temperatur und Sauerstoff in industriellen Kompostierungsanlagen zu mindestens 90 Prozent zersetzt sein. Deutsche Kompostierungsanlagen würden in der Regel mit deutlich kürzeren Verweilzeiten zwischen ein bis acht Wochen arbeiten. Gleichzeitig reiche der nach der DIN Norm EN 13432 auch nach knapp drei Monaten zugelassene Kunststoffanteil von zehn Prozent im Kompost aus, um dessen Qualität erheblich herabzusetzen. Viele deutsche Kommunen hätten deshalb die Entsorgung von Bioplastiktüten und anderen Biokunststoffen über die Biotonne verboten. Selbst wenn man theoretisch von einem vollständigen biologischen Abbau der Kunststofftüten ausgehen würde, ergäbe sich daraus kein ökologischer Nutzen. Der Kunststoff ließe sich durch den Prozess zwar entsorgen. Jedoch würden keine Nährstoffe freigesetzt und kein Humus aufgebaut. „Auf diese Weise würden energieintensiv hergestellte Rohstoffe vernichtet statt sie durch ein Recycling im Kreislauf zu halten“, erklärt die DUH-Bereichsleiterin für Kreislaufwirtschaft, Maria Elander. „Das Recycling biologisch abbaubarer Kunststoffmischprodukte, wie die Aldi- und Rewe-Tüten, bleibt in der Realität ebenfalls eine Fantasie. Denn als biologisch abbaubar bezeichnete Biokunststoffe aus Haushalten lassen sich nicht werkstofflich recyceln.“ Verantwortlich dafür sind laut Herstellerangaben die unterschiedlichen Materialeigenschaften der Kunststoffe, die zu 30 Prozent aus maisbasierter Polymilchsäure (PLA) und zu 70 Prozent aus dem erdölbasierten BASF-Kunststoff Ecoflex bestehen, heißt es weiter. Nach Einschätzung der DUH gibt es, unabhängig von den verwendeten Rohstoffen, keine umweltfreundlichen Einweg-Kunststofftüten. Eine "gute Kunststofftüte" entstehe erst gar nicht. Deshalb würden Mehrwegbeutel und -taschen eine umweltfreundliche Variante bieten. Für nicht vermeidbare Einwegkonzepte fordert die Umweltschutzorganisation recyclingfähige Materialien, ein optimiertes Recyclingverfahren und hohe Anteile an Recyclingmaterialien. „Biokunststoffe sorgen für große Probleme bei Kunststoffrecycling“ Im Zusammenhang mit der Kritik der Deutschen Umwelthilfe an Einkaufstüten aus sogenanntem Bioplastik erklärt Dr. Thomas Probst, Kunststoffexperte beim bvse-Bundesverband Sekundärrohstoffe und Entsorgung: „Bioplastik sorgt für große Probleme beim Kunststoffrecycling. Die Biokunststoffe mindern aufgrund ihrer chemischen Zusammensetzung die Qualität der Recyclate. So führt der Eintrag von Biokunststoffen beim Kunststoffrecycling zu deutlichen Nachteilen. Das Waschwasser verschmutzt erheblich, da die Biokunststoffe hier zerfallen und einen idealen Nährboden für Mikroorganismen bilden. Das Waschwasser muss dann öfter ausgetauscht oder mit einem deutlich größeren Aufwand gereinigt werden. Darüber hinaus können beim Waschen die herkömmlichen Kunststoffe mit einem Film aus Biokunststoffen überzogen werden, der dann bei den weiteren thermischen Umsetzungsprozessen in die Kunststoffe einbrennt. Die Recyclate werden schwarz und können kaum noch verkauft werden. Gelangen die Biokunststoffe in Kunststoffbauteile, die beim Recycling hergestellt werden, wie beispielsweise Rasengittersteine, Kunststoffpfähle und Kunststoffpaneele oder –bretter, so verändern sie deren Stabilität nachteilig! Wenn vermehrt Bioplastik in Umlauf gebracht wird, müssten diese daher ausgeschleust werden. Das aber würde zu erheblich erhöhten Anlagen- und Verfahrenskosten führen. Am Ende bleibt dann oft nur noch der Weg in die Müllverbrennung und das ist sicher nicht im Sinne des Umweltschutzes. Um es ganz klar zu sagen: Wir sperren uns nicht gegen Biokunststoffe, aber sind strikt gegen Etikettenschwindel. Für alle Kunststoffarten muss die gleiche Messlatte gelten: Das Recycling, nicht die Verbrennung, muss die erste Verwertungsoption sein.“ „Nicht zutreffendes Pauschalurteil“ European Bioplastics hingegen sieht die Kritik der Deutschen Umwelthilfe als nicht zutreffendes Pauschalurteil über die Tragetaschen und die dazugehörige Produktkommunikation an. Nicht berücksichtigt werde ein entscheidender Vorteil kompostierbarer Tragetaschen: die Menge von sauber getrenntem Bioabfall könne deutlich gesteigert werden. Immer mehr Kunststoffprodukte in Deutschland werden teils oder vollständig aus erneuerbaren Rohstoffen hergestellt. Im Zuge von Umwelt- und Klimaschutz sowie vor dem Hintergrund schwindender Erdölvorräte ist dies aus Sicht von European Bioplastics eine notwendige ökonomische und ökologische Umstellung. Bei den im Handel erhältlichen kompostierbaren Tüten beläuft sich der Anteil erneuerbarer Rohstoffe momentan auf mindestens 30 Prozent, in Einzelfällen auf über 50 Prozent, erläutert der Biokunststoff-Verband weiter. Dieses Mischverhältnis garantiere eine gute Funktionalität der Tüte sowie die Möglichkeit zur mehrfachen Verwendung. Die Industrie arbeite daran, den erneuerbaren Anteil des Materials stetig zu erhöhen. Zudem seien eindeutige Hinweise auf eine korrekte industrielle Kompostierung gemäß europaweit harmonisierter Norm EN 13432 gegeben. Die Norm mache klare Vorgaben für beispielsweise Rottezeiten, Ort oder auch Schwellenwerte für Ökotoxizität, die die Tragetaschen einhalten müssen. Tragetaschen, die diese Bedingungen erfüllen und durch anerkannte, unabhängige Institutionen zertifiziert wurden, tragen das Keimling Logo. Die so gekennzeichneten Tragetaschen würden in der überwiegenden Mehrheit, der in Deutschland vorhandenen Kompostierungsanlagen vollständig abbauen, heißt es weiter. „Wie man die Kompostierung von Tragetaschen künftig weiter auf die Bedürfnisse der Entsorgungswirtschaft abstimmen kann, ist bereits Gegenstand des Dialogs unserer Branche mit der Verwertungsindustrie“, erklärt Andy Sweetman, Vorstandsvorsitzender von European Bioplastics. „Biokunststoffe sind dabei aus der Nische zu treten, und werden zunehmend sichtbarer für den Verbraucher. Wie in jedem innovativen Feld, entwickeln wir unsere Materialien und Produkte stetig weiter und speziell bei Biokunststoffen gibt es ein großes, ungenutztes Potential. Zahlreiche der heute offenen Fragen werden wir in den nächsten Jahren beantworten können“, schließt Sweetman zuversichtlich. Weitere Informationen: www.bvse.de, www.duh.de, www.european-bioplastics.org, www.vhe.de |
Deutsche Umwelthilfe e.V., Berlin
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