16.08.2023, 15:47 Uhr | Lesedauer: ca. 5 Minuten |
Die rund 3.000 deutschen Kunststoffverarbeiter verlieren im ersten Halbjahr 2023 4,6 Prozent ihres Umsatzes im Vergleich zum Vorjahr und liegen damit bei rund 38 Mrd. Euro. Der umsatzstärkste Bereich Bau verliert mit fast 11 Prozent auf nunmehr 10,7 Mrd. Euro am stärksten, gefolgt von der Verpackung mit -5,9 Prozent und den Konsumwaren -1,7Prozent. Gegen den Trend stemmt sich der beschäftigungsstärkste Bereich der Kunststoffverarbeitung, die technischen Teile mit einem Plus von 3 Prozent auf 10,7 Mrd. Euro. Die Beschäftigung konnte mit rund 323.000 Beschäftigten noch weitgehend stabil gehalten werden. In den konsumnahen Bereichen wirken sich die noch immer hohe Inflation und die gestiegenen Zinsen auf die gesunkene Kauflaune aus. Diskussionen um das Heizungsgesetz und teilweise noch ausstehende Lohnerhöhungen haben in den privaten Haushalten zur Kaufzurückhaltung geführt. Zudem gab es in dem Bereich während der Pandemiejahre einige vorgezogene Investitionen in Haus und Garten, die nun fehlen. Der Fahrzeugbau wächst gegen den Trend und erwartet laut VDA ein Wachstum gegenüber dem Vorjahr von plus 15 Prozent. In anderen Bereichen gibt es jedoch deutliche Anzeichen einer sich abschwächenden Konjunktur für das zweite Halbjahr. Die Auftragsbestände wichtiger Abnehmerbranchen wie die des Maschinenbaus, der Elektrobranche und im Bau sind weitgehend abgebaut und die Anschlussaufträge fehlen. Diese Nachfrageschwäche trifft nun auf ein Überangebot an produzierten Kunststoffen. Dies drückt den Materialpreis der Originalware ebenso den der daraus produzierten Produkte. Für die in der Kreislaufwirtschaft tätigen Kunststoffrecyclingunternehmen sind das ebenfalls keine guten Rahmenbedingungen. Sie sind gefordert, mit hohen Stromkosten und entsprechenden Qualitätsanforderungen im Wettbewerb zu bestehen. Das ist bei schlechteren Inputströmen (geringeres Kunststoffabfallaufkommen) und Preisen der Originalware, die unter den Rezyklaten liegt, wirtschaftlich nicht möglich. Ein möglicher weiterer Rückgang der Industrieproduktion in der zweiten Jahreshälfte und die fortgesetzte Kaufzurückhaltung könnten dann das Geschäftsmodell der Rezykler gefährden. Erstens weil sich dadurch die Preise des Originalmaterials nicht erholen, und zweitens, weil mit weniger hochwertigem Kunststoffabfall es nicht möglich sein wird, wirtschaftlich hochwertige Rezyklate herzustellen. Unterstützt wird die pessimistische Annahme dadurch, dass keiner der Sektoren der Kunststoffverarbeitung mit einer Verbesserung im kommenden Halbjahr rechnet. Gesamtwirtschaftlich ist nun eine Rezession nicht unwahrscheinlich. Wichtige Frühindikatoren wie die Bau- und Chemieindustrie melden seit Monaten rückläufige Umsätze und Orderzahlen. Auch der Maschinenbau sendet zuletzt deutliche Warnsignale. "Deutschland muss wieder wettbewerbsfähig gemacht werden" Das Investitionsklima ist in Deutschland ob der derzeitigen Rahmenbedingungen schlecht und das Wirtschaftswachstum in der Welt nicht stark genug, dass die exportorientierte Wirtschaft in Deutschland dadurch Impulse erhalten könnte. Vielmehr ist das Gegenteil inzwischen zu beobachten. Der schon immer teure Standort verliert an Wettbewerbskraft durch die erneut verteuerten Energiepreise, gestiegene Lohnkosten und Zinsen, die wichtigen Wettbewerber, allen voran China, in eine bessere Ausgangslage bringen. So nahm der Anteil der deutschen Importe in die EU von 17,7 Prozent auf 15,5 Prozent ab, wohingegen die Importe aus China einer IW-Analyse im gleichen Zeitraum von 2000 bis 2022 von 2,5 auf 13 Prozent stark zulegen konnten. Die Debatte um einen „Brückenstrompreis“ für die Industrie wird seit Wochen geführt, ohne aber mit einer Entscheidung der Politik Planungssicherheit für die Unternehmen zu erzeugen. In den Unternehmen wird aber nicht gewartet, sondern jetzt entschieden, und die, die können, erweitern in ihren ausländischen Werken, wie dies für 2022 durch das IW eindrucksvoll mit 132 Mrd. Euro Direktinvestitionsüberhang im Ausland belegt wurde. Der Kunststoff verarbeitende Mittelstand hat hier oft das Nachsehen. Nicht zuletzt wegen dieser Rahmenbedingungen ist die Bereitschaft zum Verkauf des Familienunternehmens deutlich angestiegen und führt bereits jetzt zu einer Verschiebung hin von in Deutschland verwurzelten Unternehmen zu weltweit agierenden Playern, die diese deutsche Heimatverbundenheit nicht haben. „Der Frust ist hoch“, berichtet Michael Weigelt, Geschäftsführer von TecPart – Verband technische Kunststoff-Produkte über die Stimmung bei den Kunststoffverarbeitern und den Recyclern. Der Eindruck sei, dass in Berlin viel geredet werde, die Handlungen aber ausblieben. „Das Land muss wieder wettbewerbsfähig gemacht werden, und das Potenzial besser zu werden, ist vom derzeitig letzten Platz des IWF-Rankings doch außerordentlich vielversprechend.“ Handlungssfelder gibt es aus Sicht von TecPart reichlich: Abschließend warnt Weigelt: „Wenn die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen nicht auch für die bereits installierte Industrie schnell und deutlich verbessert werden, haben wir zu wenige Unternehmen, die die von der Regierung gewollte Transformation begleiten und letztendlich finanzieren. Ohne die wirtschaftlich treibende Kraft Deutschlands droht auch Europa zu scheitern.“ Methodik und Datenmaterial Die Ermittlung der Daten für die Kunststoff verarbeitende Industrie erfolgte wie schon in den vergangenen Jahren durch den TecPart – Verband Technische Kunststoff-Produkte e.V. auf Basis der Zahlen des Statistischen Bundesamtes für die Branche. Parallel zu der Auswertung der Branchenentwicklung wurde durch den TecPart eine Umfrage unter Kunststoffverarbeitern durchgeführt, um ein Stimmungsbild bei den Verarbeitern einzufangen. Weitere Informationen: www.tecpart.de |
TecPart – Verband Technische Kunststoff-Produkte e.V., Frankfurt am Main
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