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28.08.2007 | Lesedauer: ca. 10 Minuten    

„Die Kunststoffverwertung spielt in der Ressourcenpolitik der Bundesregierung eine große Rolle“

Ein Gespräch mit Ministerialdirektor Dr. Helge Wendenburg (Bild), Leiter der Abteilung Wasserwirtschaft, Abfallwirtschaft und Bodenschutz des Bundesumweltministeriums, Bonn, über die deutsche und europäische Abfallpolitik und welche Rolle die Kunststoffverwertung dabei spielt.

Am 13. September 2007 wird Dr. Wendenburg auf dem Kongress „Zukunft Kunststoffverwertung 2007“ in Krefeld zum Thema Kunststoffverwertung als Teil einer ökologischen Industriepolitik referieren.

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Novelle der Verpackungsverordnung: „Nur noch ein Punkt ist strittig.“

Herr Dr. Wendenburg, die fünfte Novelle der Verpackungsverordnung lässt immer länger auf sich warten und hängt im Streit zwischen Ihrem Ministerium und dem Bundeswirtschaftsministerium. Wann kommt sie?

Wir hoffen, dass wir uns noch im August einigen und dass es dann relativ schnell weiter geht. Es gibt nur noch den einen bekannten Punkt, der zwischen den Ministern geklärt werden muss.

Und die aus der CSU-Klausurtagung resultierende Anregung, eine Innovationsklausel einzufügen...

... ist nicht sehr durchdacht. Was soll eine Innovationsklausel für einen Landkreis? Das ist weder juristisch darstellbar noch führt es abfallwirtschaftlich weiter. Eine solche Klausel wird es nicht geben.

Deutsche Abfallpolitik: „Kunststoffe als ‚Erdöl in anderer Form’ tragen zur Ressourcenpolitik der Bundesregierung bei.“

Wenn wir weggehen von der Tagespolitik: Welche Rolle spielt die Kunststoffverwertung in der Abfallpolitik der Bundesregierung?

Die Kunststoffverwertung spielt in der Ressourcenpolitik und –strategie der Bundesregierung eine relativ große Rolle und zwar unter zwei Aspekten: Aus unserer Sicht lohnt sich das stoffliche Recycling von Kunststoffen bei einem dauerhaften Preis von 75 Dollar pro Barrel immer. Wir finden sogar erste Ansätze in der Recyclingwirtschaft für die tatsächliche Schließung von Kreisläufen. Gleichermaßen sind Kunststoffe als „Erdöl in anderer Form“ Energieträger und tragen als solche über eine effiziente Energienutzung sehr stark zur Ressourcen- und Effizienzstrategie der Bundesregierung bei. Dabei macht es aus unserer Sicht keinen Sinn, unter einem einfachen Energievergleich die Abfallverbrennung gegen das stoffliche Recycling auszuspielen. Man muss jeweils sehen, für welche Bereiche man welche Ansätze hat. Für die Kunststoffverwertung heißt das: Es hängt von den Inhaltsstoffen ab, die im Abfall enthalten sind. Vor diesem Hintergrund muss man sich auch Gedanken machen, ob die Ziele etwa in europäischen Richtlinien zum jetzigen Zeitpunkt in allen Punkten die richtigen sind.

Welche Ziele meinen Sie?

Zum Beispiel bei der Verwertung von Elektro- und Elektronikschrott. Wir haben über die RoHs [i.e. EG-Richtlinie: „Beschränkung der Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten“"> eine Reihe von Stoffverboten durchgesetzt. Zum Beispiel wollen wir künftig bestimmte bromierte Flammschutzhemmer nicht mehr, werden diese aber über eine bestimmte Dauer von Jahren in den zu verwertenden Altgeräten noch haben. Das heißt, wir haben hier einen Kunststoff, der nicht kreislauffähig ist. Da kann ich an dieser Stelle auch keine stoffliche Verwertungsquote fordern. Dieses Thema diskutieren wir auch auf europäischer Ebene im Rahmen der Revision der WEEE [i.e. die EU-Richtlinie „Waste Electrical and Electronic Equipment“">.

Erwarten Sie Fortschritte bei der Diskussion um die Revision der WEEE?

Über Fortschritte ist im Moment bei der WEEE schwer zu reden, denn die Kommission steht vor dem Problem, im nächsten Jahr eine Evaluation vornehmen zu müssen. Dabei soll sie etwas evaluieren, was noch nicht einmal die Hälfte der 27 Mitgliedsstaaten wirklich eingeführt hat. Im Rahmen eines Workshops im vergangenen Mai haben wir angeregt, eine Evaluierung trotzdem zu beginnen, doch bleibt die Entwicklung in den einzelnen Mitgliedsstaaten abzuwarten. Dort, wo Elektrorecycling stattfindet, tauchen die beschriebenen Probleme auf, so dass verstärkt in die energetische Verwertung gegangen werden muss. Dazu allerdings brauchen wir mehr effiziente Verbrennungsanlagen. Mit der neuen Abfallrahmenrichtlinie, zu der wir noch während unserer Präsidentschaft die politische Einigung des Umweltministerrates erreicht haben, versuchen wir, entsprechende Incentives zu setzen.

EU-Abfallrahmenrichtlinie: „Man muss aufpassen, dass nicht schon das Lagerfeuer als energetische Verwertung zählt.“

Besteht denn auch Einigkeit innerhalb der EU, was die Effizienzkriterien bei der energetischen Verwertung betrifft?

Ich denke, die politische Einigung, die - bei Enthaltung von Italien - alle Mitgliedsstaaten mitgetragen haben, zeigt sehr deutlich, wohin der Europäische Rat tendiert: Erstens wollen wir einen weiten Verwertungsbegriff. Das heißt, Verwertung sind alle Maßnahmen, die zur Ressourcenschonung beitragen. Das heißt aber auch, dass man bei der Energienutzung aufpassen muss, dass nicht schon die Verbrennung von Altholz auf dem Lagerfeuer bereits eine Verwertung ist. Also brauche ich Effizienzgrade, was eigentlich unbestritten zwischen allen Mitgliedsstaaten ist. Es gibt bei Einigen wegen ihres geringen Wärmebedarfs noch Bedenken, doch muss man an der Stelle auch sehen, dass Wärme und Dampf gleichermaßen zum Kühlen genutzt werden können. Und ganz neu: Gemeinsam mit Malta projektieren wir die Möglichkeit, mit der aus Müllverbrennungsanlagen gewonnenen Energie Meerwasser-Entsalzungsanlagen zu betreiben.

Erfüllen denn die deutschen Anlagen die geplanten Effizienzgrade?

Ungefähr zwei Drittel werden das schaffen. Das Effizienzkriterium von 60 Prozent für bestehende und 65 Prozent für neue Anlagen bedeutet schon, dass zur Erzeugung von Strom die Nutzung der Wärme hinzukommen muss. Das erreichen Anlagen, die an Fern- oder Nahwärmenetze angeschlossen sind. Das gleiche gilt für moderne Ersatzbrennkraftwerke wie zum Beispiel die Anlage der Firma Nehlsen in Stavenhagen mit einem Wirkungsgrad von 85 Prozent. Anlagen auf der „Grünen Wiese“ werden das nicht schaffen und dann als Beseitigungsanlagen gelten. Diesen Punkt greifen wir auch im Rahmen der Klimapolitik der Bundesregierung auf, indem wir Betreiber von Müllverbrennungsanlagen auffordern, sich mit der örtlichen Kommunalpolitik über die Anbindung von energieintensiven Industrien zu unterhalten. Da wird noch ein Umdenken auf allen Seiten stattfinden.

Dies alles klingt doch nach einer Gleichwertigkeit der stofflichen und der energetischen Verwertung, die sich aber in der Hierarchisierung, wie sie in der Abfallrahmenrichtlinie vorgesehen ist, nicht wiederspiegelt. Wie geht das zusammen?

Im Grunde nimmt die fünfstufige Hierarchie Gedanken auf, an denen sich Ende der 80er Jahre die moderne Abfallwirtschaft in Deutschland ausgerichtet hat. Und sie entspricht dem, was im angelsächsischen Raum immer schon unter den Four R’s „Reduce, Reuse, Recycle, Recover“ diskutiert worden ist. Wir haben das in Deutschland auf die drei Schritte „Vermeiden, Verwerten, Beseitigen“ verkürzt, weil wir Reduce und Reuse als zwei Seiten einer Medaille gesehen haben. Wir sehen viel Positives bei der stofflichen Verwertung, wir sehen aber auch die Notwendigkeit der energetischen Verwertung. Wir werden also mit der Sichtweise der fünfstufigen Hierarchie keine großen Probleme haben, es ist eher eine Frage der Darstellung.

Es steht demnach nicht mehr zu befürchten, dass die Sinnhaftigkeit einer energetischen Verwertung mit hohem bürokratischen Aufwand nachzuweisen sein wird?

Das war für uns der eigentliche Ansatzpunkt, und wir haben in der Diskussion um die fünfstufige Hierarchie immer auf eine flexible Anwendung gedrungen. Es wird zwar noch Diskussionen geben – Sie kennen die Fußnoten aus Spanien und Italien, die über diesen Punkt nochmals reden wollen. Das darf aber zu keinem bürokratischen Aufwand führen. Man muss erkennen, wo sich das stoffliche Recycling nicht lohnt und die Hinweise, die ich zuvor zur RoHS-Richtlinie gegeben habe, berücksichtigen. Zudem spielt sich stoffliches Recycling zunehmend im globalisierten Markt ab. Wir gewinnen hier in Deutschland reines PET zurück, führen es aber nicht hierzulande im Kreislauf, sondern verschiffen es nach China, das auf dem Weltmarkt mehr bezahlt. Dort produzierte Waren kommen schließlich wieder zu uns. Wir haben es also auch im Recycling mit globalisierten Kreisläufen zu tun. Dies nehmen wir für unseren Ansatz der ökologischen Industriepolitik auf, mit dem wir verantwortliches Handeln und ressourcen- und materialeffizientes Denken fördern wollen.

Verwertungsquoten: „Wo ist die Henne, wo das Ei? Quoten setzen Anreize, Verfahren zu entwickeln.“

Kommen wir zurück auf den deutschen Abfallmarkt. Tecpol und BKV haben eine Marktstudie in Auftrag gegeben, die im Ergebnis sehr deutlich zeigt, dass bei der Kunststoffverwertung der Markt in vielen Bereichen gut funktioniert. Brauchen wir da noch Reglementierungen wie Verwertungsquoten?

Die Frage ist hier: Wo ist die Henne, wo ist das Ei? Hätte es die Entwicklung dahin ohne Quoten überhaupt gegeben? Wir glauben, dass Quoten Anreize setzen, bestimmte Verfahren zu entwickeln. Hätten wir von Anfang an keine Quoten gesetzt, wären die nun kostengünstigeren Wege überhaupt nicht entwickelt worden. Wir haben das in der Anfangsphase des DSD mit zugegebenermaßen hohem Geldaufwand gefördert. Dafür verfügen wir jetzt aber über Sortierverfahren, die sortenreinen Kunststoff zur Verfügung stellen können. In Deutschland über die Abschaffung von Quoten nachzudenken, wo wir alle Quoten locker erfüllen und vermutlich als einziges Land die 80 Prozenthürde bei der Verwertung von Altautos schaffen, ist schon etwas schwierig und versteht auch keiner in Europa. Wir stehen heute an der Spitze und sind Weltmarktführer beim Export von Recyclingtechnologie sowohl im Maschinenbau als auch bei Abfallmanagementsystemen. Wir starten im September für die Abfallwirtschaft eine weitere Export-Initiative, die wir hier vom Ministerium aus betreuen.

Quoten haben aber auch andere Auswirkungen. So will die EU-Kommission die Quoten für Altautos bis 2015 nochmals erhöhen. Damit wächst die Gefahr, dass Fortschritte beim Leichtbau von Fahrzeugen durch Einsatz von mehr Kunststoffen behindert werden. Die Gebrauchsphase beim Auto ist ja unter ökologischen Gesichtspunkten weitaus wichtiger als das Recycling.

Wir haben im letzten Jahr in der Diskussion mit der Kommission versucht darauf hinzuwirken, dass es bei der 80 Prozent-Recyclingquote bleibt. Die Mitteilung der Kommission von Anfang 2007 hat das nicht aufgenommen. Natürlich haben Sie Recht, dass man genau hinschauen muss, wo die größten Umweltbelastungen herkommen. Und verbrauchsärmere Autos sind am ehesten dadurch zu erreichen, dass man sie leichter macht. Das geht mit Kunststoff, das geht aber auch mit anderen Materialien. Doch liegt es nicht nur am Material. Es gibt heute sehr viele Zusätze, nicht nur für mehr Sicherheit, was zu begrüßen ist, sondern auch für Zwecke, die man in unseren Breitengraden nicht unbedingt braucht. Es ist sicherlich richtig darauf hinzuweisen, dass bestimmte Produkte in der Nutzungsphase sehr viel größere Belastung für die Umwelt beisteuern als ihre Produktion oder Entsorgung. Doch ist das nicht die einzige Diskussion, die man führen muss. Außerdem glauben wir, dass wir mit den Anstrengungen, die wir derzeit mit der Schredderindustrie anstellen, um aus der Schredderleichtfraktion mehr Material für das stoffliche Recycling als Reduktionsmittel in Stahlwerken zu bekommen, auch die höheren Quoten schaffen werden.

Europaweites Deponierungsverbot: „Das dauert 35 Jahre“.

Einen entscheidenden Schub gab der deutschen Abfallwirtschaft das faktische Verbot seit Mitte 2005, unbehandelte Abfälle zu deponieren.

Wir haben aber auch 35 Jahre dafür gebraucht.

Wie lange dauert es in Europa?

Genauso lange. Sie müssen sehen, dass die Situation, die wir 1972 hatten, als es das Abfallgesetz zum ersten Mal gab, heute noch in vielen Mitgliedstaaten der Europäischen Union besteht. Diese können die Kosten einer Müllbeseitigung, wie wir sie in Deutschland haben, gar nicht schultern. Möglicherweise geht es in dem einen oder andere Land aus dem Gedanken des Klimaschutzes schneller, weil erkannt wird, dass mit Müllverbrennungsanlagen Energie bereit gestellt und gleichzeitig Treibhausgasanforderungen erfüllt werden können. Andererseits ist ein wichtiger Ansatz europäischer Abfallpolitik die Zuordnung der Kosten zu den Verursachern. Und in Ländern mit einem Bruttoinlandsprodukt wie Bulgarien oder Rumänien und dem entsprechenden Einkommen des Einzelnen wird man sehr schnell an die Grenzen der Akzeptanz stoßen, wenn Abfallgebühren erhoben werden sollen, die auf der Grundlage von Verbrennungsanlagen gerechnet sind.

Eine letzte Frage zum Ersatzbrennstoffmarkt in Deutschland: Wie wird er sich Ihrer Einschätzung nach weiter entwickeln?

Ich denke, wir werden bis 2008/2009 eine hinreichende Zahl von Ersatzbrennstoffkraftwerken dort haben, wo es sich rechnet. Das Problem bei diesem Thema ist, dass die Abschätzungen des Beratungsunternehmens Prognos weitgehend als reale Zahlen genommen werden, was sie nicht sind. Keiner weiß genau, wie groß der Bedarf wirklich ist. Und ich habe immer gesagt: Wenn man die Abfallwirtschaft einigermaßen kennt, dann weiß man, dass, wenn die Verbrennung 100 oder 120 Euro und eine einfache Sortierung schon 50 Euro kostet, der Abfallwirtschaft für die dazwischen liegenden 70 Euro eine ganze Menge einfällt. Doch das wird dann kaum erfasst. Wenn die Zahlen vom Statistischen Bundesamt Ende 2007 vorliegen, wird man genauer darüber reden können, aber ich glaube, dass die 40 bis 60 Anlagen, über die in Deutschland diskutiert wird, viel zu viele sind und auch nicht kommen werden.

Das Gespräch mit Dr. Helge Wendenburg führte Uli Martin im August 2007.

Quelle: www.bkv-gmbh.de

Fraunhofer UMSICHT + Beteiligungs- und Kunststoffverwertungsgesellschaft mbH, Oberhausen + Frankfurt

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